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Zweites Buch. Europa.
Frankreich hat eine Meergrenze von 280 M., eine Landgrenze von 250
M., ist aber überwiegend Landmacht. Zunächst ist die Küste wenig gegliedert
— sie sendet nur die stumpse Halbinsel Provence im SO. und die spitzeren
der Normandie und Bretagne im NW. aus —auch liegen nur wenige Inseln
vor5). Ferner sind fast alle Küsten aus verschiedenen Ursachen im Versanden
begriffen, namentlich weil in den Golsen von Lion und Biscaya und im Canal
Strömungen entlang eilen, welche die Flüsse zwingen, ihre feineren Sinkstoffe
an der Küste abzulagern. Daher das Delta des Rhone immer weiter vor-
geschoben und am Golf von Lion eine Reihe von Strandseen und Lagunen
(,,(5tan gs"), ähnlich wie in Italien, gebildet. Im Golf von Biscaya spült
gar die Rennels Strömung eine Menge abgeriebener Erden der spanischen
Nordküste an die Ufer Frankreichs, die dann dnrch die vorherrschenden West-
winde bei der oft sehr tiefen Ebbe landwärts getrieben und zu Dünen auf-
gethürmt werden; von diesen aus, die ostwärts wandern, wird das Land
weithin mit Sand überschüttet (les landes!); erst in der letzten Zeit hat man
sie durch Anpflanzungen von Strandkiefern mehr befestigt (§ 18 Anm. 2).
Aehnliche Dünen finden sich bis zur Bretagne hin, nur großentheils durch-
brochen und in Inseln ansgelös't ü). Daher fast sämmtliche Häfen an jenen
Küsten im Lause der Jahrhunderte zurückgegangen, selbst die meisten Flußhäsen,
die im Ganzen die Küste erfreulich unterbrechen7). Dagegen in der Provence
und Bretagne, wo z. Th. ausgezeichnete Häfen sind, wenig Hinterland, das
einen schwunghaften Handel begünstigen könnte (nur Marseille hat einen
solchen) und deshalb dort ausgezeichnete Kriegshäfen angelegt, wie man
künstlich auch in derNormandie (Cherbourg!) einen vorzüglichen geschaffen^).
Uebrigens gehört Frankreich seiner Abdachung uach zu c. 1Iö zum Mittel¬
daß sie an der Spitze der Civilifation marschierten, für ihre Blüthezeit im 17.
und 18. Jahrhundert eine gewisse Berechtigung; ebenso gilt sie noch jetzt für manche
Seiten der materiellen, doch nur für einzelne der geistigen Cultur.
5) Aber sie sind unbedeutend. So die Normannischen Inseln, die den Eng-
ländern gehören, ferner O n e s s a n t und B e l l e I s l e an der Bretagne; N o i r m o u t i e r s,
d'Aen, Re und Oleron zwischen Loire nnd Garonne. Corsica gehört, physisch
betrachtet, zu Italien _
6) Im W> der Seinemündung erschweren Klippen (Calvados), im N. Steil-
ränder eines Kalksteinplateaus (F alaises), die leicht unterspült werden nnd abbröckeln,
die Schiffahrt.
7) So sind zurückgegangen: Arles, jetzt nur noch durch Canal mit der See ver-
bunden, Aigues Mortes, Narbonne, La Rochelle, Roch efo r t,^ D i e pp e,
St. Valery, selbst Nantes und Ronen. Auch der Umstand, daß die Seeschifffahrt
immer größere Schiffe in Anspruch genommen, hat dazu beigetragen, die französischen
Häfen minder geeignet zu machen.
8) Während daher Frankreich als Landmacht lange Zeit dadurch mächtig empor
kam, daß es schwache Nachbarn hatte und doch nach W. durch die See geschützt war,
ist seine H a n d e l s m a r i n e kanm je so bedeutend gewesen, als man nach der Länge der
Küste erwarten könnte; dazu hat wohl noch die Vorliebe der Franzosen für ihren hei-
mischen mit großen Vorzügen ausgestatteten Boden und Abneigung gegen das unbehag¬
liche Meer beigetragen. So gehören sie nicht zu den Nationen, die durch kräftige Ent-
Wickelung der Seefahrt hervorragen — freilich erklärlich, wenn fast alle Hafenanlagen
an den Flachküsten den Todeskeim in sich tragen! Starker Aufschwung des Handels
nur unter dem Minister Colbert ('j' 1683). In der Kriegsmarine haben sie aber bei
ihrem tapfern, unternehmungslustigen Sinn glänzende Anläufe genommen _ Doch sind
ihre Kriegsflotten immer wieder durch die Engländer vernichtet, öo bei C. de l a
Hague (1692), Abnkir (1798), C. Trafalgar (1805).