104
Die Bevölkerung des Landes.
fort Anhänger zuzuführen, und vielleicht von keinem Volke ist das
Evangelium so verhältnismäßig rasch und so innig aufgenommen
wie von uns Deutschen.
Die Dichtkunst ward von unseren Vorfahren hoch geschätzt.
Kein Gastmahl, welches nicht durch sie verherrlicht wäre. Die Harfe
wanderte dann von Hand zu Hand, oder man lauschte den Liedern
eines zugewanderten Sängers, der von der Entstehung der Welt,
von den Göttern und ihren wunderbaren Händeln und Verwand-
hingen, von den Großthaten der Vorfahren sang; und da die Deut-
schen mit besonderer Vorliebe die Natur und das Leben der Thiere
beobachteten, bei denen sich so oft menschliche Charakterzüge aus-
zusprechen scheinen, so entstanden auch eigentümliche Erzählungen
von einem Thierstaate, in welchem Reinhard, der schlaue Fuchs,
eine Hauptrolle spielte. Auch fehlte es nicht an sinnvollen Rath-
seln, die in Liederform vorgetragen wurden, und die zum Theil
noch bis auf diesen Tag bekannt und im Gebrauche sind. Aufge-
schrieben waren diese Lieder nicht; sie lebten frei im Munde des
Volkes und änderten, wie sie von Geschlecht zu Geschlecht sich fort-
pflanzten, allmählich wohl ihre Gestalt und theilweife ihren Inhalt.
Gleichwohl kannte man die Buchstabenschrift. Es waren die s. g.
Runen; aber aus Mangel an Papier benutzte man sie nur, um
etwa aus metallene Geräthe kurze Inschriften — den Namen des
Besitzers oder einen Denkspruch — zu setzen, oder man ritzte sie aus
glatten Täfelchen von Buchenholz ein, deren man sich bediente, um
durch Looswerfen die Zukunft zu erfahren, indem man dieselben,
die s. g. Buchstaben, jedes mit einer in Runenschrift geschriebenen
Bezeichnung eines etwa in der Zukunft möglichen Ereignisses versah,
und sie dann in einem Gesäße schüttelte und eines herauszog. Das
sind die Anfänge der Schrift bei unseren Vorfahren, und so kommt
es, dast wir noch heute von Buchstaben und Büchern sprechen.
Der Art waren die Zustände unserer Vorfahren. — Jahr¬
hunderte lang haben sie ruhig in ihren Gränzen gewohnt; aber in
dem letzten Jahrhundert vor Chr. Geb. kamen sie in Bewegung.
Viele Stämme machten sich auf, über den Rhein in das heutige
Frankreich, das Land der Gallier, zu ziehen, welches ehemals so
starke und blühende Volk damals in sich zerfiel und Römern und
Deutschen zur Beute wurde. So kam es, daß die Römer, damals
auf dem Gipfel ihrer Macht stehend und unter tüchtigen Feld-
Herren aufs höchste kriegerisch ausgebildet, mit dem noch jugend-
frischen Volke der Deutschen zusammen trafen. Staunen ergriff
sie; denn so weit sie auch ihre Waffen getragen hatten, nirgends