fullscreen: Für mittlere Klassen (Theil 2)

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Stunde die untersten Schichten der Waldung; denn die eigenthümliche 
Ausbreitung der meisten tropischen Bäume in breite, platte Kronen 
bringt eben so viele Schirnre hervor, die den wassererfüllten Boden so 
dicht beschatten, daß auf ihm stets eine nur des Mittags angenehme 
Kühle herrscht. Darum steigen selbst die Vögel, die sonst auf der Erde, 
in niedrigen Gebüschen oder auf den Sandinseln ihre Nahrung finden, 
des Morgens bis in die luftigsten Kronen. Die Pauxis flattern schwer¬ 
fällig von Ast zu Ast bis auf die gewünschte Höhe, die sie durch einen 
aen Flug nicht zu erreichen vermögen; auf den weiß gebleichten, 
osen Gliedern eines Riesenstammes, den der Blitzstrahl tödtete, oder 
der unter den mörderischen Angriffen zahlloser Insecten verblutete, sitzen 
unbeweglich Schaaren von gesellig schlafenden schwarzen Geiern, die mit 
weit ausgebreiteten Flügeln mit Sonnenstrahl sich trocknen, bis sie sich, 
ohne ihre Stellung zu verändern, langsam nach einer andern Seite wen¬ 
den. Selbst der Anblick eines Kahns oder einer lagernden Gruppe von 
Menschen, denen sie in den spätern Stunden mit widerlicher Kühnheit 
und mit diebischer Absicht nahen, vermag sie nicht zum Flug zu brin¬ 
gen. Selten steht ein kolossaler Storch oder Touyouyou, wie in tiefe 
Gedanken versunken, schon zeitig am Flußufer; der genügsamen Beute 
selbst geraume Zeit nach Sonnenaufgang noch gewiß, nehmen auch sie 
erhabene Stellungen ein, und vor Allem herrlich ist der Anblick der 
dichten, dunkelgrünen Baumkronen, von denen die ruhenden Schaaren 
schneeweißer Reiher, wie eben so viele festliche Kerzen, scharf sich Zeich¬ 
nen. Auch die Geschöpfe der geringeren Ordnungen theilen diese Sehn¬ 
sucht nach der Sonnenwärme. Die Fische schwimmen so sorglos und 
ruhig an der Oberfläche, daß der wachsame Indier sie leicht und schnell 
mit Wurfspieß oder Pfeil erlegt, oder sie fliegen schaarenweis hervor, 
während die plumpen Sprünge der großen Delphine hier, in weiter 
Entfernung vom Ocean, an ''die Scenen der gegenseitigen Verfolgung 
oder des fröhlichen Lebens erinnern, die in den'milderen Breiten dem 
unerfahrenen Seereisenden vieles Vergnügen gewähren und zu jeder Zeit 
eine angenehme Unterbrechung der Einförmigkeit bilden. Noch liegen 
niedrige und dünne Nebelstreifen über der Landschaft, nicht den unfreund¬ 
lich düstern Decken des Nordens, aus denen sich Unwetter entwickeln, 
sondern eher dem durchsichtigen Schleier vergleichbar, der ein kostbares 
Gemälde überzieht; sie weichen, in dem Luftstrome zerschmelzend, der 
dem Zuge der Gewässer folgt und leise in den späteren Morgenstunden 
an der Oberfläche des Flusses wehet, wenn nicht ein kräftiger Wind der 
höheren Regionen an seine Stelle tritt. 
Wärmer wird der Strahl der jungen Sonne, und daß auch die 
Pflanzenwelt von einem höhern Leben ergriffen sei, verkündet der bal¬ 
samische Dust unzähliger harziger Baumstämme und Blüthen, der wei¬ 
terhin unter dem Einflüsse der Mittagshitze verschwindet. Nun erst 
entwickeln die zahlreichen Bewohner dieser Wildniß ihre volle Thätig¬ 
keit; denn sie sind die unverdrängten Besitzer des weiten Reiches, m 
welchem der Mensch noch keine bleibende Stätte sich begründet hat. 
Zahllose Entenschaaren treiben auf den flachen Wellen, so unvertraut 
mit der Verfolgung des Jägers, daß dieser zwischen ihnen hinrudert, 
ohne Schrecken oder Flucht zu veranlassen, und Wolken von schwarz¬ 
köpfigen Möven sind, wie an den Küsten des Meeres, mit dem Fisch¬ 
fänge beschäftigt. Auch größere Thiere werden sichtbar; am Ufer erschei-
	        
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