4 Die Aufgabe des Unterrichts.
zutage tritt. Da sich diese Gesetzmäßigkeit in kleinen, leicht zu über-
schauenden Erscheinungsgruppen nachweisen läßt, so ist sie auf elementarische
Weise auch dem wenig geschulten Verstände begreiflich zu macheu; andererseits
vermag die Geographie bei umfassender gesteckten Zielen auch der gereifteren
Geisteskraft angemessene Probleme zu stellen. DieseMöglichkeit quali-
tativen Aufsteigens der Erkenntnis macht die Erdkunde zu
einer für die niedrigsten wie für die höchsten Stufen des
Unterrichts geeigneten Disziplin.
Nicht minder verdient die Erdkunde diese Stellung im Unterrichtsplane
durch die Vielseitigkeit, mit der sie die Teilnahme am Men-
schen zu erregen vermag. Sie lehrt den Halbwilden kennen, der sich
kümmerlich von Jagd oder Fischfang ernährt; sie zeigt die Lebensbedingungen
und die Lebensgestaltung wandernder Hirtenstämme; sie führt zu den Kultur-
Völkern, bei denen Landwirtschaft, Gewerbthätigkeit, Industrie und Handel
Wohlstand erzeugen, der in Wissenschaft und Kunst seine edlere Blüte treibt.
Und dabei vermag sie überall den leisen Regungen wie den bewußten Aus-
gestaltungen des religiösen Gefühls nachzugehen, das den Menschen über die
Tierwelt hinaus erhebt. Sie verhilft zu einer Ahnung von der auch im
rohesten Menschen geheimnisvoll webenden religiösen Anlage, wenn sie die
Fetischdiener Asiens und Afrikas kennen lehrt, und sie zeigt, wie neben
mancherlei Stufen der Ausgestaltung der Gottesidee das Christentum deren
höchste und vollendetste darstellt, die werbend von Tag zu Tag ihr Gebiet
und die Zahl ihrer Bekenner vergrößert. So vermag die Erdkunde für alle
bedeutsamen Erscheinungen in dem Verhältnis der Menschen zu einander
und zu Gott lebhafte Teilnahme zu erregen.
b. Das Verhältnis der Erdkunde zu den übrigen Schul-
diszipliuen tritt besonders deutlich erkennbar hervor gegenüber der Ge-
schichts- und Naturkunde. Überall verhält sich hier die Geographie empfangend
und befruchtend. Es würde die einigermaßen vollständige Durchdringung
eines Komplexes in sich zusammenhängender geographischer Thatsachen nn-
möglich sein ohne das erhellende Licht, unter welches die beschreibenden
Naturwissenschaften und die Physik das betreffende Thatsachengebiet zu rücken
vermögen; andererseits aber haben die Naturwissenschaften auch von der
Erdkunde Dienst und Hilfe fo wichtiger Art empfangen, daß manche ihrer
Zweige*) nur auf geographischer Unterlage sich haben entwickeln können.
Ebenso würden manche geographische Erscheinungsformen unverstanden
bleiben ohne historische Beleuchtung; dagegen aber fördert auch die Erdkunde
das tiefere Verständnis geschichtlicher Vorgänge, nicht nur, indem sie durch
Anweisung eines bestimmten Platzes diese mehr fixiert und so konkreter vor-
vorstellbar macht, sondern auch indem sie zu tieferer Begründung derselben
verHilst3). Diese zugleich empfangende und befruchtende Funktion der Erdkunde
1) z. B. die Lehre von der Verbreitung der Pflanzen und Tiere, vom Druck,
der Temperatur und den Bewegungen der Luft ?c.
2) z. B. die Mauergürtel alter Städte, die in manchen Gegenden unseres Vater-
landes so häufigen Ruinenkronen der Berghöhen u. a.
3) Indem sie z. B. nachweist, wie die Bewegungen der Völker durch die Boden-
form der Länder auf lange Zeiträume in bestimmte Bahnen gelenkt sind, wie manche
Gegenden durch dieselbe Ursache zu Wahlstätten bestimmt wurden, auf denen die Völker-
wogen an einander brandeten in entscheidenden Völkerschlachten it. a.