Full text: Landschaftliche Charakterbilder der hervorragendsten Gegenden der Erde

280 Afrika. 
Wenige Schritte hinter dem letzteren erhebt sich die ungeheure Felswand, die 
das zauberhafte Bild abschließt; sie ist wie durch den Schwertstreich eines 
Titanen mitten durchschnitten, so daß ein düsterer Spalt entstanden ist, welcher 
nur eben Raum für den schäumenden Fluß und die in die Felsen gesprengte 
Straße darbietet. Die Staffage in dieser wilden, durch nackte, schwarze Wände 
eingeengten, von angenehmer Kühle erfüllten Schlucht erinnert an groteske 
Stellen in den Alpen, aber hier ist die wilde Passage nicht der eigentliche 
Glanzpunkt der Landschaft, sondern nur der großartige Rahmen zu einem uoch 
erhabeneren Bilde. Kaum hat man nämlich einige Schritte in dem engen Schlnnde 
vorwärts gethan, so hat man die Wüste vor sich. Im grellen Gegensatze zu 
dem Düster der Schlucht breitet sich draußeu eine gelbschimmernde, ebene, 
völlig nackte Fläche aus — die Sahara. Zwar ist es nur ein kleiner Ab- 
schnitt dieses gewaltigen Gebietes, das man vor sich hat, doch enthält er bereits 
ebenso die schrecklichen Seiten der Wüste, die Sandflächen, wie die spärlich dar- 
über verteilten Reize, die Oasen. Zur Rechten schaut mau eine Masse hoch- 
ragender Palmenwipfel, dicht wie ein Urwald, der sogar eine Art Vorposten 
bis zum jenseitigen Eingange der Schlucht hiu entsendet. Das ist die erste 
Oase, die Oase el Kantra, die nördlichste der afrikanischen Oasen überhaupt. 
Kaum wird es möglich sein, die Sahara von einem andern Punkte aus iu so 
überraschender, ja berückender Weise kennen zu lernen, wie von diesem. Mit 
vollem Rechte hat die bilderreiche Sprache des Morgenlandes daher diesen merk- 
würdigen Wüsteneingang „Fum es Sahara", d. h. Mund der Sahara, genannt. 
Derselbe ist übrigens auch politisch höchst bedeutsam, iudem er die wichtige Straße 
von der Küste und dem Gebirge nach der Wüste hin beherrscht. Schon die Römer 
hatten sich dieses Engpasses bemächtigt, den sie „Calceus Herculis" (Schuh des 
Herkules) nannten, und eine Brücke erbaut, welche noch jetzt, freilich in um- 
gebauter und erneuerter Gestalt, über den el Kantrafluß führt. — Hat man 
die Schlucht verlasseu, so gelangt man in die von 1800 Arabern bewohnte 
el Kautraoase, eine von dem Flusse durchströmte Mulde, iu welcher die eleudeu 
Lehmhütten der Ansiedler von üppigen Kakteen umgeben und von einem 15 000 
hohe Stämme zählenden Haine von Dattelpalmen überragt werden. Von dem 
Oasenorte el Kantra aus fährt die Post vorläufig uoch auf einem einfachen Kara- 
wanenwege weiter, der vielfach mitten durch den Fluß führt uud auch dadurch sehr 
erschwert wird, daß noch einzelne Äste und Querketten des Atlas südlich von der 
Schlucht die Wüste durchziehen, also von der Post überwunden werden müssen. 
Größer ist hier natürlich die Temperatur der Tageszeit als aus dem Plateau 
des Atlas, und anch die Szenerie hat den Charakter der Sahara erhalten. Die 
Berge sind ganz nackt und haben eine helle, weißgraue Färbung, die sie, hellen 
Wolkengebilden gleich, am Horizonte aufsteigen läßt. Hier und da erhebt sich 
ein dornartiger Strauch, nur dicht am Gewässer grünt und blüht mit zahl- 
losen Blüten der Oleander, alles sonst ist öde und ebenso ohne Pflanzen- 
wie ohne Tierleben; ja hin und wieder zeigt sich am Wege sogar das gebleichte 
Skelett eines Kamels, das hier den Strapazen erlag. Die Hügel, die man 
passiert, sind vielfach uuter dem Einflüsse von Sonne, Wind und Wasser, von 
Hitze uud Kälte zerbröckelt. Eine kurze Unterbrechung des Wüstenbildes be- 
wirkt das kleiue Bad el Hammam, das von üppigen Gerstenfeldern umgeben 
und von einigen Dutzend hochstämmiger Palmen überschattet wird, und bald
	        
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