Kalifornien. Kalifornisches Waldbild. 339
Während wir unter den Waldriesen und auf dem blumenreichen Teppiche
dahinwandeln, stehen wir plötzlich bei einer Thalkrümmung vor einem erhabenen,
mehrere tausend Meter hohen schneebedeckten Gipfel.
Eine der größten Zierden, welche Kaliforniens Wälder aufweisen, sind die
Riesen- oder Mammutbäume, deren Vorhandensein erst seit 1852 bekannt
ist. Den Zedern am nächsten stehend und mit dem Rotholze nahe verwandt,
hat der Riesenbaum (Sequoia gigantea) ungemein kleine Zapfen, die kaum so
groß, wie ein mittlerer Apfel sind, dagegen eine Rinde von einer Dicke von
50—70 cm. Nach den Jahresringen hat man bei einzelnen Riesenbäumen
ein Alter von 1300 Jahren festgestellt, ja es wird bei einzelnen ein noch
weit höheres Alter anzunehmen sein. In ihrer Verbreitung sind die Riesen-
bäume sehr beschränkt, mehr noch als das ihnen zunächst stehende Rotholz,
das sich an der Küste des Stillen Meeres entlang in meistenteils ausge-
dehnten Wäldern findet. Die Riesenbäume hat man bisher nur zwischen
dem 36. und 38.° 15' nördl. Br., nämlich zwischen dem Südarme des Tule-
und dem Nordarme des Stanislausflusses, und in einer Höhe von 1500 bis
2700 m gefunden, und zwar je weiter nördlich, in desto bedeutenderer
Höhe. Man trifft sie nie als abgegrenzte, selbständige Gruppen an, sondern
zwischen andern Nadelhölzern jeglichen Alters zerstreut, Haine bildend, die
gewöhnlich auf einen kleinen Umkreis beschränkt sind. Unter den Nadelhölzern,
zwischen denen die Riesenbäume vorkommen, sind besonders die Pech- oder
Harztanne und die Zuckerfichte zu erwähnen; die bekanntesten Haine von Rie-
senbäumeu sind die von Calaveras uud Mariposa, von welchen der erstere
am rechten Ufer des Nordarms des Stanislausflusses, 1600 in hoch, liegt.
Der gewaltigste der hier vorhandenen Bäume hat eine Höhe von 108, einen
Umfang von 15 m, woraus sich freilich die Thatsache ergibt, daß die in
Australien vorkommenden Eukalyptusarten von den Riesenbäumen an Höhe noch
keineswegs erreicht werden.
Wer vermöchte den Eindruck der Riesenbäume auf das menschliche Gemüt
zu schildern! Er überwältigt jeden und übertrifft auch die kühnsten Vor-
stellungen, die eines Menschen Phantasie von diesen Pflanzenkolossen mitbringt.
Entzückend schön ist namentlich die abendliche Stimmung, die während
der Sommermonate in Kaliforniens Waldungen herrscht. Selten nur bewegt
sich dann ein Lüftchen; mehr als anderswo wird dort die anmutige Vor-
stellnng in uns erweckt, als ob die Natur wie der Mensch sich allabendlich
zur Ruhe begäbe, aus der sie am nächsten Morgen neugekräftigt und im
frischesten Glänze erwacht. Selbst für solche, die zu romantischen Schwär-
mereien gar nicht geneigt sind, kostet es oft Überwindung, bei sinkender Nacht
von dem sie umstrickenden Zauber der Abendlandschaft sich loszureißen, deren
Reize wesentlich durch das herrliche Klima und die prächtige Vegetation be-
dingt sind, während freilich die magische Beleuchtung, mit der die Landschaft
in manchen Teilen der Alten Welt bei Sonnenuntergang übergössen wird, fehlt.
Nach Robert v. Schlagtntweit.
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