40 Aus den Alpen.
Poststraße führt uns an einem zweiarmigen Wasserfalle vorüber zu der Stelle,
an welcher 1618 das reiche Städtchen Plurs mit 2500 Menschen durch den
Bergsturz des Monte Conto über 30 in tief begraben wurde, ohne daß es
bisher gelungen ist, bis zu dem Boden dieses riesigen Grabes hinab zn gelangen.
Über demselben erheben jetzt Edelkastanien ihre gewaltige Krone und schlingen
Weinstöcke ihre üppigen Reben. Anfangs wird die Straße noch von der üppigen
Vegetation Italiens umgeben, später folgt eine schweizerische Alpenlandschaft.
Bei Cafaccia zweigt sich ein Saumpfad links ab, um über den Septimer
nach dem Oberhalbstein zu führen; wir aber gelangen, weiter der Straße
folgend, auf die Höhe des Maloja-Passes (1800 m). Nahe demselben liegt
der hellgrüne Silsersee, welcher, 3/4 Meilen lang, 1/2 Meile breit und von zahl¬
reichen Gletscherbächen genährt, den Ursprung des Jnnstromes bildet. Er ist nur
3 Monate im Jahre eissrei und wird von der ungeheuren, gletscherreichen
Berninagruppe überragt. Bei dem romantischen See, an welchem entlang
uns die Straße weiter führt, betreten wir das Hochalpenthal Eng ad in, dessen
mittlere Höhe 1600 in beträgt. Aus dem Silsersee fließt das Gewässer weiter
in den 100 m tieferen See von Silvaplana, welcher an reizvoller Umgebung
mit dem vorigen wetteifert. Fast 13 in breit und 15—16 m tief, tritt der
Fluß in hellgrüner Färbung uuter dem Namen Lagaziöl bei dem schmucken
Dorfe Silvaplana aus dem zweiten See und fetzt, von Arven umgeben, feine
Wanderung zu dem weit kleineren See von Campfer fort. In diesen fpringt
ein malerischer Hügel vor, den ein Arvenwald bekleidet. Jenseits des Sees
liegt das hochromantische Dorf Campfer, überragt durch deu Piz Corvatfch
(3458 in) und Piz Lauguard (3266 rn) gegen Osten, von wo wir ans kurzem
Wege das Bad St. Moritz, am gleichnamigen vierten See und unterhalb des
Dorses St. Moritz gelegen, erreichen. Es ist dieser Ort, dessen Quellen schon
Theophrastus Paracelsus 1530 pries, in neuerer Zeit zu einem hochbe-
rühmten Bade- und Kurort emporgestiegen, der seine Hochsaison vom 1. Juli
bis 31. August hat und alsdann von Heilbedürftigen aller Länder erfüllt ist.
Nachdem das Gewässer den St. Moritzsee verlassen hat und jäh über eine
Felsenschwelle in eine tiefe Schlucht niedergestürzt ist, erhält es den Namen
Inn; dieser durchfließt nun mit geringem Falle die 5 Meilen lange Hochebene
des Oberengadin. Die hohe Lage gibt der ganzen Landschaft einen höchst
eigentümlichen Charakter. Da die Thalsohle ungefähr von der Höhe des Rigi
ist und deshalb etwa 9 Monate lang Winter hat, so fehlt ihr, außer niederem
Erlengebüsch, jedes Laubholz; selbst Fichten und Tannen, welche jenseit des
Maloja-Passes die Höhen bedecken, gedeihen hier nicht. Dagegen ist das Thal
am Fuße der Berge entlang mit dichten Wäldern hochstämmiger Lärchen besetzt.
An sie grenzen aufwärts bis zu eiuer Höhe von 2500 m die Arven, deren
dichte, düstere Nadelbüschel und starr gezackte Äste seltsam von den lichtgrünen
Lärchen abstechen. Rings um das obere Eugadin zieht sich ein Gürtel von Eis
und Schnee, der in keinem der größeren Alpenthäler den menschlichen Wohn-
stätten so nahe tritt, wie hier. Wie merkwürdig unterscheidet sich von dieser
starren Welt der Anblick des eigentlichen Thalbodens! Selten sieht man weitere
Strecken saftiger Matten, als hier. Zwischen Wald, Wiesen, Seeen gruppiert
sich eine ansehnliche Reihe der freundlichsten, reichsten und blühendsten Ort-
schasten mit stattlichen, betürmten Kirchen nnd palastartigen Gebäuden. An den