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Vorderindien.
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untersetzten, geschmeidigen Körper mit einem
schmalen, feingeschnittenen Gesicht. Die
Kleidung besteht bei den ärmeren meist
nur aus einem Hüftentuch und einem tnrban-
ähnlichen Kopfputz. Die Reichen tragen kost-
bar gestickte Seiden- und Musseliugewäuder^
und reich verzierte Sandalen oder Pantoffeln
(Abb. 1 u. 2, § 43). Die Ernähruug ist bei dem
eigentlichen Volk infolge des brahmanifchen
Tiertötungsverbotes vegetarisch; die oberen
Schichten halten sich weniger an dies Verbot.
Die Dichte beträgt im Durchschnitt 65,
in Bengalen 200, in den „Staaten der Zen-
tralprovinzeu" 30. Infolge des Massensterbens
durch Hungersnöte und Seuchen ^ war die
Bevölkerungszunahme in der letzten
Zählungsperiode außerordentlich gering. Sie
schwankte zwischen 1 und —V2% der Be¬
völkerung (Durchschnitt 0,24, Deutschland 1,46,
Vereinigte Staaten 1,90).
Der Religion nach sind % der Be¬
wohner Brahmanen (s. darüber § 7). Außer
den drei Hauptgottheiten (Brahma, Wischnn,
Schiva) werden zahllose, vielfach nur lokal
geltende Uutergötter, böse uud gute, verehrt.
Eine der schrecklichsten Gottheiten ist die Ge-
mahlin Schivas, Pärvati oder auch Kali
oder Durga geuauut. Sie ist in Bengalen die furchtbare Göttin der Cholera und der Seuchen
überhaupt und wird in schrecklichster Gestalt dargestellt: mit einem Schwert in der einen,
einem geköpften Menschenhaupt in der andern Hand, 'mit ungeheuren Zähnen, mit einem
Kranz von Schädeln um deu Hals, auf Leicheustätteu hauseud. Nur blutige Opfer (Tiere, früher
auch Menschen) werden ihr dargebracht. Ein berühmtes Heiligtum hat sie bei Kalkutta. — Die
Äugst, daß die Seele nach dem Tode in einen Menschen niederer Kaste (s. unten) oder gar
in ein Tier wandern könne, statt zur „Weltseele" zurückzukehren, ist groß, und die Selbstkasteiungen,
die man sich als Rettnngsmittel auferlegt, sind vielfach grausam. Am ärgsten treiben es damit die
Fakire^. So heißen hier die Asketiker, die man in Afrika Derwische nennt. Sie lassen sich vom
Feuer förmlich rösten, zerfleischen sich den Körper mit eisernen Haken oder lassen sich gar bei hohen
Festen von den Götterwagen Wischnus zermalmen (vgl. die Geißelbrüder des Mittelalters). Die
allermeisten von ihnen sind aber arbeitsscheues Bettelgesiudel, eine förmliche Landplage. — Von
dem Glaubeu au die heiligende Kraft des Gaugeswassers hörteu wir schon.
Verhängnisvoll für das ganze Volk ist die uralte, noch heute bestehende Einteilung § 44
in Kasten geworden. Die einwandernden Arier bestanden, wie meistens die morgen-
ländischen Volker, aus 3 Klassen: Priestern, Kriegern und Ackerbauern; dazu traten
nun die unterworfenen Stämme als gemeine Arbeiter, Sudras genannt In die
Kaste der Sndra, die wieder in zahlreiche Souderkasteu, je nach der Beschäftigung,
geschieden ist, werden auch die Unwürdigen der oberen Kasten verstoßen. Heute gibt
es in Indien Hunderte von Kasten, die sich durch Ehegesetze usw. streng voneinander
1 Musselin, nach der Stadt Mosul am Tigris beuauut, ist ein seidenartiges Banmwoll-
gewebe.
' 1903 bzw. 1907 starben am Fieber 41/2 MM., an der Pest 1 MW., an der Cholera y2 Mill.
Als Opfer der Hungersnot darf man Wohl einen jährlichen Durchschnitt von 2 Mill. rechnen.
1913 kamen durch Schlangenbisse 900, durch Tiger 400 Meuscheu um.
3 Fakir = „Armer", nämlich geistig Armer.
4 Die in Europa übliche Bezeichnung Parias für die unterste Klasse beruht auf einer irrtüm-
lichen Auffassung der Portugiesen. In Wirklichkeit sind die Parias ein drawidischer Volksstamm
in Südiudien, der mit der Kasteneinteiluug der eigentlichen Inder gar nichts zu tun hat. Die
Parias werden von allen Kasten, auch von deu Sudras, gleichmäßig verachtet, wohnen für sich
in verfallenen Dörfern und führen ein armseliges Dasein.
aharadja von Jeipur.
(Aus Kunhard, Wanderjahre Bd. II.)