Full text: [Teil 4 = 5. - 6. Schulj] (Teil 4 = 5. - 6. Schulj)

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seine Residenz hatte. Da war sie abgeladen worden, und die Begleitung 
des Wagens, nachdem sie das Schreiben abgegeben und ein reichliches 
Botenbrot empfangen, hatte sich vergnügt auf den Rückweg gemacht. 
2. 
Da lag nun die Auster, festgeschlossen und von außen nicht eben sehr 
lecker anzusehen, und um sie herum stand der König mit seinen getreuen 
Räten. Keiner wußte, was nun anfangen mit dem Ungeheuer. Daß ein 
eßbares Tier in dem steinernen Schalenhause verborgen war, sagte man 
sich wohl, wie aber war demselben beizukommen? Es war nicht anzu¬ 
nehmen, daß es auf bloßes Zureden die Schalen voneinander tun würde, 
denn es konnte sich unmöglich Gutes davon versprechen. Offenbar mußte 
man mit Gewalt vorgehen. Einer hielt es für das beste, über der Auster 
ein Hammerwerk zu erbauen und dann von oben her durch einen furcht¬ 
baren Schlag ihr Gehäuse zu zerschmettern, also dasselbe Mittel anzu¬ 
wenden, durch das man schon vor Jahren einmal eine Haselnuß geöffnet 
hatte. Ein andrer schlug vor, das Gehäuse auseinander zu sprengen, 
indem man in die Schale Löcher bohrte, diese mit Pulver füllte und das¬ 
selbe anzündete. Beide Vorschläge wurden verworfen aus der Erwägung 
daß bei Anwendung einer so starken Gewalt gar leicht nicht nur das 
Schalengehäuse zerbrochen, sondern zugleich auch der eßbare Inhalt gänzlich 
zermalmt und in eine nicht mehr den Appetit reizende Masse verwandelt 
werden könnte, wie es ja damals auch mit der berühmten Haselnuß er¬ 
gangen wäre. Das Sprengen aber wäre noch gefährlicher als das Zer¬ 
trümmern mittels des Hammers, weil die umherfliegenden Sprengstücke 
große Zerstörungen anrichten und sogar das Leben der Umwohnenden ge¬ 
fährden könnten. 
3. 
Der Königliche Koch, welcher mit zu der Beratung hinzugezogen war, 
wußte nichts Besseres zu tun, als die Achseln zu zucken und sich den 
Kopf zu kratzen. Vielleicht, meinte er, sei es das Gescheiteste, das Tier 
in und mit der Schale zu sieden, wie man es bei den kleinen Schnecken 
täte; wer aber hätte einen Fischkessel, der groß genug dazu wäre? 
Übrigens sei das Schlachten großer Tiere nicht seine Sache, sondern käme 
andern zu. Diese möchten auch diesmal das Ihrige tun. Wenn dann 
das Fleisch ausgeschlachtet in die Hofküche käme, wollte er es schon kochen, 
braten, schmoren, spicken, fareieren und solche Saucen dazu machen, daß 
jedermann, der überhaupt einen feinen Geschmack habe, damit zufrieden 
sein solle. 
Während also beraten wurde, hatte sich auch ziemlich viel Volk an- 
gesamnlelt, und alles bestaunte das Meerwunder. Da dies sich nicht
	        
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