ZH VII. Die Karpathen lande r.
ermüdendes Einerlei, hier eine wechselvolle, von lieblicher Anmut bis zu kühner Wildheit auf-
steigende Mannigfaltigkeit, pflanzenwuchs und Tierwelt weisen hier wie dort neben großen:
Reichtum die größte Verschiedenheit auf. Durchwandern wir zunächst die Gebirgsumwallung
Ungarns.
Die Gebirgsumwallung.
Pom Durchbruch der Donau bei preßburg bis zur letzten und größten Stromschnelle
derselben zwischen Bazias und (Drsowa, dem Eisernen Thore (S. ^9), wird die ungarische
Tiefebene in einem großen Bogen von den Karpathen umschlossen, der natürlichen Grenz-
mauer zwischen Ungarn und Siebenbürgen einerseits und Mähren, Österreichisch-Schlesien,
Galizien und Rumänien anderseits. Im Gegensatze zur deutschen Mittelgebirgsschwelle bilden
die Karpathen eine durchaus geschlossene Erhebung, deren einzelne Teile als Kleine Kar-
pathen, Weißes Gebirge, Baskiden, Tatra, Liptauer Gebirge, Ungarisches Erzgebirge, Kar-
pathisches Waldgebirge oder eigentliche Karpathen, Transilvanische Alpen, Banater Gebirge
und Siebenbürgisches Erzgebirge bezeichnet werden (5. —^9)*
Es ist merkwürdig, wie viele Züge dieses Hochgebirge mit den Alpen gemein hat. Gleich
den Alpen sind die Karpathen ein Faltengebirge, das steil nach Süden und sanft nach Norden
abfällt. Die Länge der Alpen bemißt man am äußeren Saume auf J500, die der Karpathen
auf \200 km. Beide Erhebungen unischließen tiefe Einbruchsbecken, die Alpen das des po, die
Karpathen das der Donau. Auch die Karpathen haben eine Zentralzone aus Granit und
Gneis, die in der Hohen Tatra zur höchsten Erhebung aufsteigt, und an diese legen sich im
Süden und Norden jüngere Ablagerungen einstiger Meere an. Diese Thatsachen finden ihre
Erklärung darin, daß die Karpathen eben die Fortsetzung der Alpen sind. An die Sandstein-
zone, das Flyschgebiet der Alpen, schließt sich bei Wien sofort die der Karpathen an nur mit
dem Unterschiede, daß sie sich hier zu einer Breite von \00—\20 km ausdehnt. Daher er¬
scheinen die Karpathen von Norden als eine Folge langer, einförmiger, waldreicher Sandstein-
wellen, deren sanfte Formen aufs lebhafteste an die Flyschberge zu beiden Seiten der bayeri-
schen Vorlandseen, besonders des Tegernsees, erinnern. Der Faltenbau der Karpathen bedingt
auch einen ähnlichen Zickzacklauf der Flußthäler mit ihrem Wechsel von eintönigen Längs-
und engen, malerischen (ZZuerthälern, wie dies so schön der Dunajec (S. ein Nebenfluß der
Weichsel, der unterhalb Krakau mündet, zeigt.
Den kristallinischen Kern der Karpathen bildet die L)ohe Tatra, ein mächtiger Granit-
stock mit einem von Westen nach Osten ziehenden Hauptkamm, auf dem sich die steilen Gipfel-
Pyramiden der Gerlsdorfer und Lommitzer Spitze mit 2663, bezw. 263^ m (S. ](J7) erheben.
Gegen Süden fällt dieser Gebirgsstock in einer einzigen Flucht zu dem Thalbecken der Land-
schaften Liptau und Zips ab und gewährt deshalb von hier aus den großartigsten Anblick.
Schon bei \500 in Meereshöhe endet der Wald; dann folgt eineKrummholzregion, Alpenmatten
fehlen nahezu gänzlich. Den höchsten Teil des Tatragebirges erfüllen schroffe Felswände,
kahle Schutthalden und vereinzelte Schneeflecke; Gletscher fehlen. Die Thäler der Tatra
haben eine auffallende Ähnlichkeit mit jenen der Zentralalpen. Sie bilden nämlich an ihren
oberen Enden gewaltige Felszirkusse mit steilen, 300—600 m hohen Wänden, an deren Fuß in-
mitten von kahlem Fels und ödem Schutt kleine grüne oder schwärzliche Seen liegen, vom
Volke „Meeraugen" genannt (S. U8). Pom unteren Ende des Thalzirkus senkt sich der Boden
in mehreren Stufen abwärts, über die die Gewässer in Kaskaden herabstürzen, um endlich
durch einen schluchtartigen Kanal das Vorland zu erreichen.
Die Kalkzone der Karpathen neigt zu Höhlenbildungen wie die der Alpen, ja die be-
rühmten Tropfsteinhöhlen von2lggtelek(S. J[20) westlich von Kaschau sind die größten in Europa
(6 km) und übertreffen noch die von Adelsberg (^,1 km) und planina (5,7 km).
Der Reichtum der Karpathen liegt in ihren ungeheuren Waldrevieren, in denen stellen-
weise noch Bären und Wölfe Hausen, und in ihren Metallschätzen; Weidewirtschaft und Vieh-
zucht treten zurück. Daher ist das Gebirge arm an Siedelungen. Reich gesegnet aber ist der
Saum der Karpathen im Norden und Süden. Hier reift der berühmte Tokayer, der nach der
Meinung der Ungarn sein Feuer aus der Sonne und dem vulkanischen Boden zugleich empfängt;
dort dehnen sich die weiten Ackerländer Galiziens aus, an dessen Ostrand die Festung Krakau