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Bilder aus Süd-Europa,
die Rüder der Wagen, die sich auf ihr bewegen. Bald gelangen wir
in einen Orangenhain, dessen weiße Blüten uns köstlich entgegenduften,
dann durch ein üppiges Blumen- und Gartenland. Thymian und
Lavendel, vielfarbige Verbenen und schöne Azaleen überweben den Boden
wie ein Teppich- aus jeder Felsspalte drängt sich der Feigenbaum, der
Kaktus und die Agave oder Baumaloe. Ein Seitenthal schimmert uns
rosenrot entgegen; sein ganzer Grund ist mit blühenden Oleanderbüschen
bedeckt. Kräftiges Myrtengebüsch webt undurchdringliche Hecken uin
prächtige Fackeldisteln und um-hohe Bärenklaugewächse, die stolz ihre
malerischen Blätter entfalten. Welche Pracht überall an Laub, Blüten
und Früchten, und welcher Wechsel in den Pflanzengestalten! Heiter
lächelt der Granatbaum im Schmucke seiner scharlachroten Blüten; die
ernste Cypresse wirst ihren langen Schatten, und die hochgewachsene Pinie
hebt ihr breites Nadeldach zum Goldglanze des Himmels empor.
Abwärts führt der Weg durch einen heimlich-stillen grünen Grund,
von alten Ölbäumen beschattet, die in dichtem Gestrüpp zusammenstehen.
Dann geht es wieder aufwärts und nun weiter und weiter aufwärts.
Ohne sich vom Meere weit zu entfernen, verliert sich die Straße in
einzelne Wäldchen, kriecht raupeuähnlick um Klippen und Felsenstirnen
und erklettert endlich einen Berggipfel, an dessen äußerster Spitze uus
ein stattlicher Ort entgegenwinkt. Die Häuser scheinen übereinander
gebaut, als müßte man alle Augenblicke einen Übersturz befürchten.
Mit Mühe steigen wir zum Städtchen hinauf, an steilen, nackten Felsen-
wänden entlang, wo im heißen Sonnenstrahl die lasurblaue Eidechse hin-
und herschlüpft. Doch überall, wo Felsen und Bäume nur die Aussicht
nicht hindern, hat man das Meer vor sich mit seinen von der Bran-
duug umschäumteu Klippen, mit seinen Inseln und grünen Buchten, mit
seiner ganzen unerschöpflichen Herrlichkeit!
Und abwärts geht es wieder, oft steil hinab und pfeilschnell, bis
an den Strand. Ein Fischerdorf lacht uns malerisch entgegen. Freilich
ist es nur in der Entfernung schön! In seinem Innern ist Armut, Un-
sanberkeit uud Lässigkeit. Den Bewohnern scheint es am wohlsten zu
sein in träger Ruhe. Manche der kahlen steinernen Häuser, die so nahe
am Wasser stehen, als müßte die nächste Welle sie wegspülen, haben
nicht einmal eine Hausthür, iu den Fenstern fehlen die Scheiben, in den
Stuben die Betteu. Aus den öden Fensterhöhlen schauen gebräunte,
dunkeläugige Fraueu neugierig dem Reisenden nach. Die junge Frau
dort, die ein Netz strickt, uud das steinalte Mütterchen, welches die zer-
lumpte Wäsche, die sie eben in einem Regentümpel gewaschen hat. auf
dem Kies zum Trocknen ausbreitet, hören mit ihrer Arbeit auf, um
ebenfalls dem Fremden lange nachzusehen. Braune Fischerbarken sind
hoch auf den Strand gezogen, ihre nur sehr dürftig bekleideten Besitzer,
fast so brauu wie das Holz ihrer Schiffe, liegen im Schatten derselben.
Die roten Mützen über das Gesicht gezogen, so schlafen sie sozusagen
den Abend heran, wo es hinausgeht zum Fischfange. Fast nackte
Kinder fischen in dem feuchten Schwellsande nach Muscheln und anderen
Schaltieren, die sie lebend verzehren.