Die Oder.
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Werder, von weidenden Viehherden belebt. Einsamer als früher er-
scheint das tiefliegende Fahrwasser der Oder, denn viele der Kähne
und Flöße haben sie verlassen und sind durch den Kanal des Großen
Kurfürsten, den Friedrich Wilhems-Kanal, nach der Spree abgegangen.
Wie die Weichsel, so zeigt auch die Oder eine eigentümliche Ver-
schiedenheit ihrer Laufrichtung vor und nach ihrem Durchbruche durch
die Seenplatte. Sobald sie in dieselbe eingedrungen ist, wendet sie sich,
ihrem bisherigen, den Sudeten parallelen Lause uutreu, nordwärts der
Ostsee zu, während ihre frühere Richtung in der Nähe jener Gegend,
wo sie nach Norden abzuweichen beginnt, von einem anderen Flusse
sortgesetzt wird. Wie westlich von Bromberg die Netze den bisherigen
Lauf der Weichsel fortführt, so strömt anch westlich von Frankfurt die
Spree mit der Havel, die wegen ihrer Nähe fortan keine größeren Zu-
flüsse von links her zulassen, und dann die untere Elbe in der bis
dahin vorherrschenden Richtung der Oder weiter. Nicht ohne Grund
hat man die Vermutung ausgesprochen, daß Weichsel, Oder und Elbe
einst in ihrem Unterlaufe ihren anfänglich nordwestlichen Lauf fort-
setzten, bis sie bei bedeutenden Hochwassern einen anderen mehr nörd-
liehen Weg fanden; die Elbe siel ins Oderbett, die Oder in den unteren
Lauf der Weichsel, die Weichsel selbst öffnete sich eine kürzere Bahn
zum Meere, und alle drei ließen von ihrem alten Lause nur die Spur
in den weiten Flußbetten zurück, die jetzt viel kleineren Nebenflüssen
zum laugsamen Ablauf dienen. Vielleicht hat demnach der niedrige
Höhenzug, der hier das Ufer der Oder begleitet, bei Frankfurt sich einst
geschlossen uud die Oder sich an der Stelle, die durch den Friedrich
Wilhelms-Kanal bei Müllrose bezeichnet wird, in das Bett der Spree
ergossen.
Die bequemste Übergangsstelle der Oder, die weiter abwärts durch
sumpsige Brüche ungangbar gemacht wurde, bezeichnete seit alten Zeiten
die Stadt Frankfurt, wie ihr Name noch andeutet. Mau begreift da-
her auch, wie hier die berühmten, fchou von den ersten fränkischen An-
siedlern begründeten Messen entstehen konnten, die derselben durch den
gewaltigen Zustrom von Fremden noch heutzutage zu bestimmten Zeiten
ein gauz verändertes Aussehen geben. Melancholisch liegt mitten in
dem lebhaften Teile der Stadt der alte Kirchhof, auf dem das Grab
des Frühlingsdichters Ewald von Kleist an den blutigen siebenjährigen
Krieg erinnert. Nicht weniger vermag der Denkstein des Prinzen Leo-
pold von Braunschweig die Gefahren ins Gedächtnis zu rufen, die
durch die Fluten der überschwemmenden Oder der Stadt drohen.
Unterhalb Lebus, besonders am linken Ufer sich hinziehend, bildete
der Oderbruch uoch im vorigen Jahrhundert eine wüste, wilde Flüche,
wo die Bewohner seit alten Zeiten nur von Fischfang uud Heubergung
kümmerlich ihren Lebensunterhalt erwarben. Mitten in der Wildnis
von Wasser und Morast lagen ihre Wohnungen auf einzelnen höheren
Stellen, die von dem Wasser unberührt blieben, dicht aneinander ge-
drängt und zum Schutze gegen heftige Stürme und Wasserfluten mit
mächtigen Wällen von Kuhdünger umgeben. Die Fasten- und die