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Bilder aus der norddeutschen Tiefebene.
Johaunisflut setzten den Bruch regelmäßig unter Wasser; die Bewohner
konnten dann nur auf Kähnen von einein Hause zum anderen gelangen,
mußten oftmals_ ihren Gottesdienst auf dem Wasser abhalten uud sich
in Kähnen um ihren Geistlichen versammeln.
Die alten Brücher waren meist wendischer Abkunft und haben
noch lange Zeit ihre Sitten und Eigentümlichkeiten in ihrer nrsprüug-
licheu Reinheit bewahrt. Bis auf unsere Tage hat sich jedoch von
allem, was wendisch war, allein die Tracht nur in einzelnen Dörfern
erhalten. Die Entsnmpfuug des Bruches, ein Werk Friedrichs des
Großen, das in den Jahren 1746 — 53 vollendet ward, und die Ein-
Wanderung von Schwaben, Pfälzern u. a. hat das wendische Wesen
zu Grabe getragen. Ein Kanal, der damals aus der Oder mehrere
Meilen oberhalb Küstrin herausgeführt wurde, die sogenannte „Neue
Oder", nahm nach uud uach die Hauptwassermasse des Flusses aus und
läßt heute die „Alte Oder" nur noch bei hohem Wasserstande Schiffe
tragen. Als der König Friedrich später auf einer Rundreise die trocken
gelegten Fluren mit ihren 41 Dörfern und Vorwerken besuchte, die
gleichsam auf sein Geheiß entstanden waren, hatte er wohl Grund
freudig auszurufen: „Hier habe ich in Frieden eine Provinz erobert!"
Aber erst heute könnte er die Früchte seines Werkes in ihrer vollen
Pracht sehen. Zahlreiche Meiereien, Dorfschaften und einzelne Woh-
nungen sülleu die von vielen künstlichen und natürlichen Wasserläufen
durchschnittene, durch Dämme vor den Überschwemmungen des Stromes
geschützte Niederung; herrliche Wiesengründe neben fettem Getreideboden,
von markierten Thalrändern begrenzt, bedecken gleichsam die Sohle eines
trocken gelegten Sees. Neben der Landwirtschaft und Viehzucht siud
auch die kunstmäßigen Gewerbe mächtig emporgeblüht, und überall kann
man zur Winterszeit die hohen Schornsteine der Spiritusbreunereien,
der Stärke- und Zuckerfabriken rauchen sehen.
Am Nordende des Bruchs treten die Höhenzüge des Landrückens
wieder nahe an den Strom heran und geben der Stadt Küstrin ein
malerisches Ansehen. Als senkrechte Wände, die wie Felsmassen aus-
sehen, streben sie auf und überragen weit die Häuser, die sich oft in
die Schluchten hineinziehen. In der Gabel der zusammenfließenden
Oder und Warthe und zwischen schilfigen Sümpfen belegen, durch zwei
Dämme mit ihrer Umgebung in Verbindung gesetzt, war die Stadt
Küstrin von der Natur zu einer starken Festung bestimmt und galt
als solche schon zur Zeit des dreißigjährigen Krieges. Ihre damalige
Bedeutung trefflich charakterisierend, schreibt der Geograph Merian:
„Wenn man von Mittag hierher reisen will, muß man über 37 Brücken,
uud deshalb mag solcher Weg wohl eine Mausefalle genannt werden.
Und da man über den Morast kommt, läuft zunächst an der Festung
der starke Oderstrom vorüber. Wenn man dann zum anderen Thor
wieder hinaus will, muß man zum mindesten auch über sieben Brücken
reisen, obwohl der Morast am selbigen Ort am schmälsten ist."
Unterhalb Schwedt, wo die Ränder des Stromthals wieder scharf
hervortreten, verläßt die Oder die Mark, um in Pommern einzutreten,