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den Wanderer niederschauen! Das winzige Häuschen dort, die rettende
Casucha, ist eine jener Zufluchtsstätten, welche schützende Menschenhand ab
und zu vorsorglich an die Andenstraße setzte; sie erinnert den Einsamen
in ernster und nachdrücklicher Weise daran, daß er den kecken Fuß in ein
Gebiet setzte, worin bald schreckliche Schneestürme, bald entsetzliche Gewitter
sein Leben bedrohen. Fragend hastet dein Blick an dem einfachen Kreuze,
das mahnend von dem Felszacken da drüben herniederschaut, fragend wendest
du das Antlitz dem Gastfreunde zu. Mit südlicher Lebhaftigkeit schildert
er, daß im letzten Schneesturme drei einsame Chilenen an derselben Stelle
ums Leben kamen, wo der neugierige Fremdling sein ermüdetes Reittier
stillstehen ließ. Ein Schauder durchläuft deinen ganzen Körper bei der
anschaulichen Schilderung; es muß entsetzlich sein, in dieser weltentlegenen
Einöde im Hauche des Höhenfrostes zu erstarren. Fühlst du seinen lähmen-
den Odem? Stärker und stärker anschwellend, verwandelt er sich aus
eiuem leisen Winde in den rasenden Sturm, der Mann und Tier fast zu
Bodeu schleudert und das Blut in den Adern zu Eis geriunen läßt. Die
leichten Wolken am Himmel verdichten sich, streifen tiefer und tiefer und
bedecken endlich den ganzen, ohnehin so beschränkten Gesichtskreis mit ihrem
einförmigen, traurigen Grau, worin der Schimmer des Tages jäh erlischt.
Zudem ist der wogende Nebel so empfindlich kalt, daß die schützende Cafucha
möglichst rasch aufgesucht und ein Feuer entzündet werden muß. Aber
woher den Brennstoff in dieser nackten, pslanzenarmen Einöde nehmen?
Die Peonen wissen auch jetzt Rat; an den dürren Schieferhängen draußen
bildet ein Pflänzchen aus der Gattuug der Verbenen dichte, weitverzweigte
Rasen, die vom Hochsommer mit unzähligen Purpurblumen geschmückt werden.
Das Kraut des anspruchslosen Gewächses bildet in diesen Höhen das einzige
Feuerungsmaterial, wenn nicht vielleicht ein mitleidiger Ärriero (Maultier-
treiber) ein Restchen Kohlen für künftige Wanderer in einem Winkel zurück-
ließ. Das Unwetter läßt zum Glück schon nach einigen Stunden nach,
während derartige Stürme sonst nicht selten mehrere, manchmal sogar 5 bis 6
Tage dauern. Jetzt darf der Flüchtling aus der retteuden Cafucha wieder
iu die düstere Wilduis hiuaustreteu. Sie hat sich wenig verändert, denn
die siegreich aus deu Wolken hervortretende Sonne vermag sie mit ihrem
matten Glänze nur wenig zu beleben uud zu erheitern.
Das Pslanzenleben ist in diesen uuwirtbaren Höhen fast gänzlich
erstorben; nur eitrige dürftige Alpenpflänzchen fristen ein verwaistes, kümmer-
liches Dasein aus den starren Leibern der fast überall beschneiten Felsen.
Nirgends ein lebendes Wesen, nirgends Bewegung in dieser lautlosen Einöde,
wenn wir nicht den leisen Wind, der schneidend von den Graten und
Jochen herniederweht, als ein beseeltes Etwas ansehen wollen. Die uube-
schreibliche Majestät, die tiefe, geisterhafte Stille, das Gefühl der Ohnmacht
und Verlassenheit in dieser starreu Hochgebirgsnatur üben selbst auf die
Peonen einen unleugbaren Einfluß aus, denn die lebhaften Burschen unter-
halten sich nur im Flüsterton miteinander. Wie ganz anders noch packt
diese großartige Gebirgseinsamkeit, an der Jahrtausende und wieder Jahr¬