Full text: Bilder aus Amerika (Bd. 1)

— 29 — 
bare, niederdrückende Stille unterbrechen werde. Aber kein Fußtritt eines 
lebenden Wesens läßt sich hören, kein wildes Tier heult oder brüllt in 
der grausigen Öde, kein Vogel schreit, kein Baumgezweig ächzt und seufzt 
im Wiude. Nur den unruhigen Schlag des eigenen Herzens vernehmen 
wir; indem das Blut durch die feinen Gefäße des Ohres läuft, entstehen 
mißklingende Töne darin. Und nun scheiut das Schweigen um uns her 
plötzlich hörbar, sichtbar, fühlbar zu werden. Wie ein schreckliches Gespenst, 
das die Seele mit dem überwältigenden Bewußtsein des allgemeinen Todes 
erfüllt, meiueu wir es plötzlich neben uns zu fühlen, daß wir uns entsetzt 
umschauen. Es ist, wie wenn diese fürchterliche Stille das Ende aller 
Dinge, zugleich aber eine öde, traurige, nimmer erscheinende und nimmer 
endende Zukunft ansagen sollte. Wir springen, von Grauen geschüttelt, 
empor und treten herzhaft in den Schnee; und siehe, der eigentümliche 
knirschende Lant vertreibt das Gespenst, das ja -nur in unserem krankhaft 
erregten Hirn bestand. Nichts im weiten Reiche der Schöpfung wirkt 
so schrecklich, so erdrückend ans das Menschenherz wie das tote, starre, 
unabänderliche Schweigen der arktischen Nacht; es kann den Einsamen, 
von aller Welt Verlassenen zum Wahnsinn bringen. 
Sobald wir zu den Gefährten zurückkehren, verwischt sich jener Ein- 
drnck glücklicherweise, und nichts erweist sich anch hier fo heilsam zur 
Beruhigung des erregten Seelenlebens wie — angestrengte Arbeit irgend¬ 
welcher Art. 
Als Entschädigung für die ausgestandenen Schrecknisse zeigt uns 
die Polarnacht jetzt eine ihrer größten Herrlichkeiten: das märchenhaft 
fchöne Nordlicht. „Heraus, ein großartiges Nordlicht!" mahnt es von 
Deck, und eilig folgt alles der Mahnung. Ein unbeschreiblicher, mit 
Entzücken erfüllender Anblick zeigt sich dem staunenden Auge. Jetzt sehen 
wir nur einen einfachen, zerstreuten Schimmer, dann leuchtende Flecken 
auf dem Himmelsgrunde im Südosten. Nun huschen zitternde, blendend 
weiße Strahlen vom Horizont aus in fliegender Eile über das ganze 
Firmament; fast sieht es aus, wie weuu ein uufichtbarer Pinsel über das 
Gewölbe führe. Plötzlich hört die eigentümliche Erscheinung auf; aber 
sieh! dort fchießt vou einem anderen Punkte aus eiu Strahlenbündel 
hervor, breitet sich in hehrer Herrlichkeit fächerförmig ans, erbleicht und 
erlischt. Und nun entwickelt sich das unvergleichliche Schauspiel noch 
unendlich ergreisender und großartiger. Lange, goldene Vorhänge wallen 
am Himmel, sie verschlingen sich tausendmal in sich selber und blähen 
sich aus, wie wenn der Wind hineinwehte. Sie reichen so tief herunter, 
daß man erwartet, das eigentümliche Geräusch, das beim. Übereinander- 
streifen von Geweben entsteht, müsse hörbar werden. Wieder wandelt 
sich das Bild; ein lenchtender Bogen, dnrch einen schwarzen Kreisabschnitt 
vom Horizont getrennt, wölbt sich am Himmel empor. Scharf sticht das 
Schwarz gegen den jetzt glänzend weißen, dann lebhaft roten Bogen ab, 
von dem die Strahlen ausgehen. Er dehnt sich aus, teilt sich und stellt 
urplötzlich einen leuchtenden Fächer dar, der den nördlichen Himmel
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.