Die Heimat in kindlicher Auffassung. 85
dann darf Walter noch nicht begießen, erst muß die Sonne verschwunden
sein. „Sonst wird die Erde so hart wie ein Brett/' hat der Vater gesagt,
„abends zieht das Wasser ordentlich ein, am Tage leckt es nur die gierige
Sonne auf."
Line Schaukel hat Vater Bühl auch für seine Kinder aufgestellt. Za,
da sind Schaukelringe, da ist ein Schaukelbrett und eine Turnstange. Durch
eine Schnalle können die Ringe hoch und niedrig gestellt werden. Selma,
Walters älteste Schwester, ist schon groß, viel größer als ihr Bruder, die
macht die Schaukeltaue immer kurz, so kurz, daß Walter nicht heranreichen
kann. Unter der Schaukel liegt Elbkies, damit Walter nicht so hart fällt,
wenn er einmal aus der Schaukel purzelt.
Sonntags geht Walters Vater auch in den Garten. Aber an manchen
Sonntagen ist er nicht zu hause. Vater Bühl ist Lokomotivführer, und da
muß er auch hin und wieder am Sonntag mit der Eisenbahn fahren. Kber
wenn er frei hat, dann ist er im Garten. Dicht neben Bühls haben noch
viele Leute einen Schrebergarten. Das sind alles Bahner. Und da ist kein
Garten ohne Laube. Die Lauben haben die Männer in ihrer freien Zeit
alle selbst gemacht. Fast alle Lauben haben ein Pappdach, die meisten
eine Vorlaube. Bühls haben auch Kaninchen und Tauben. Die wollen
sie nun in den Garten bringen. Vater Bühl setzt die Kaninchenkäfige an
die Laube und trägt die Taubenschläge in den Garten. Dann muß Walter
auch noch die Tiere füttern. Manche Leute haben auch Hühner in ihrem
Garten. Bühls aber wollen sich keine Hühner anschaffen. „Die fressen
so viel," sagt die Mutter, „und dann sieht das Eigelb immer so hell aus'
Hühner müssen Freiheit haben und Grünes fressen?"
67. Frühlings Erwachen.
Da stand ein kleines, feines Schneeglöckchen im Schulgarten. Ob es
nichts spürte von der Kälte und dem bösen Winde? Die junge Lehrerin
hatte den pelz umgehängt und den Winterhut aufgesetzt, und die kleinen
Mädchen, die mit blauen Uäschen am Zaun auf den Gartenwegen im Kreise
herum auf das nickende Blümchen schauten, versteckten die Händchen in den
warmen Handschuhen. Bei Kastellans im Hause da schien es gemütlich
warm zu sein. Die Fenster waren dicht angelaufen, und der Schweiß perlte
in großen Tropfen und Rinnen hernieder aufs Fensterbrett. „Du bist zu
früh gekommen, viel zu früh. Was willst du denn schon?" pfiff der Wind
und wackelte am lieben Schneeglöckchen und schaukelte es hin und her.
Aber das Blümchen stand fest, es saß ja an einer dicken, saftigen Zwiebel,
die unter der Erde steckte und es fest hielt, daß es der Sturm nicht um-
reißen konnte. Und dann lugte zwischen den dicken schwarzen Wolken die
liebe Sonne hindurch, ihre Strahlen huschten zu dem lieblichen pflänzchen,
küßten es und streichelten es und hatten es so lieb. „Wir freuen uns, daß
du gekommen bist. Läute nur immerzu, daß deine Nachbarn es hören und
die Schläfrigen erwachen! Laß nur den Wind dein Glöcklein schwingen,
er tut dir nur Gutes! Er bricht dich nicht ab, sei nicht bange. Bald wer-
den deine Schwestern ihr dunkles Kämmerlein öffnen und dir Einsamen
Gesellschaft leisten in ihren schmucken Frühlingskleidern."
Das Eis begann zu schwitzen, der Schnee verkroch sich in der Erde,