Full text: Darstellender Anschauungsunterricht

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fünft von ihm verlangt, was er sei, so macht man die Beobachtung, 
daß es die Erklärung des Gegenstandes durch dieAngabeseines 
Gebrauchs bevorzugt. „Was ist ein Messer?" — es ist zum 
Schneiden; ein Pferd — das ist, um den Wagen zu ziehen; ein Tisch 
— das ist, um darauf zu essen; eine Mama, das ist, um das Essen 
zu machen: Brot — das ist zum Essen; wenn man arbeitet — das 
ist, um nicht bestraft zu werden, oder um Belohnung zu bekommen" 
(Binet, „Die neuen Gedanken über das Schulkind", S. 102). Be- 
sonders springt das geringe Verständnis für die Gesamtauffassung der 
Sechsjährigen bei Situationsbildern in die Augen. Die neuere Psy- 
chologie berichtet zahllose Bilderanalysen, in denen die Vor- 
gänge, die auf dem Bilde dargestellt waren, in ihrem Zusammen- 
hange nicht aufgefaßt werden. (Das Kind bleibt bei ganz äußer- 
lichen Feststellungen stehen: in weitaus den meisten Fällen 
kann man froh sein, wenn man Auffassungen erhält. Be- 
schreiben und Deuten der dargestellten Dinge sind Vorgänge, die 
einer intensiven Fragearbeit im Unterricht bedürfen. 
Auch die Urteilskraft ist beim sechsjährigen Kinde in glei- 
eher Weise beschränkt. Das Kind ist von Natur nicht kritisch veran- 
lagt, es überlegt nicht, ob es richtig und zweckmäßig ist, was es tut 
und sagt, es ist nur in einer beschränkten Lebenssphäre geistig munter 
und lebendig. Sowie es in einen anderen Kreis hineintritt, ist es 
körperlich wie geistig ungeschickt. Jedermann kennt das unbeholfene 
Kind, das zu Hause ganz manierlich ist, dessen Benehmen aber bei 
Besuchen der Mutter auf die Nerven fällt, weil es nicht weiß, was 
sich schickt. Seine Kritiklosigkeit erkennt man auch daran, daß es sich 
bei Fragen außerordentlich leicht durch Worte bescheiden läßt. Wer 
es nur recht versteht, wird den unbequemen Frager durch einige 
Redensarten sehr bald los. Man darf aus seinen Warum- und Wes- 
halbfragen keineswegs auf ein tiefes kausales Bedürfnis 
schließen: es ist mit dem oberflächlichen „Weil" zufrieden. Ferner ist 
bekannt, wie leicht Kinder Gesehenes und Gewünschtes miteinander 
verwechseln, wie außerordentlich leicht sie der Suggestion 
zugänglich sind. Weinend erklärt ein Knabe vor Schulanfang feinem 
Lehrer: „Herr Lehrer, ich bin eben mit der Mappe nach der Schule 
gekommen, und nun ist sie weg." „Hast du sie auch wirklich bei dir 
gehabt?" „Ja, ich habe sie aufgeschnallt und habe sie unter den Tisch 
gelegt." Es melden sich dreißig Kinder, die alle gesehen haben, wie 
der Knabe mit der Mappe zur Türe hereingekommen ist und sie 
unter den Tisch gelegt hat. Es werden eifrig Nachforschungen an- 
gestellt, und es ergibt sich, daß die Moppe wohlbehalten in der elter- 
lichen Wohnung liegt. 
Aber die neuere Psychologie lehrt uns auch, wie diese man- 
gelhafte Beschaffenheit der psychologischen Vor- 
Darstellender Anschauungsunterricht. 2
	        
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