Full text: Darstellender Anschauungsunterricht

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sogenannte „Schulklemme", in der das Kind immer unsicher ist, ob 
es auch etwas Rechtes kann und schließen seinen Mund, der sonst 
so mitteilsam war, so lange, bis die steife Antwort, die der Lehrer 
fordert, ihn wieder öffnet. Aber es ist kein frisches, fröhliches geistiges 
Eigentum, das ihm entströmt, sondern etwas Fremdes, etwas An- 
gelerntes, das bald wieder aus dem Blickfelde verschwindet und wenig 
Kraftgefühl hinterläßt. 
Man findet so wunderschöne Gelegenheiten, dem Kinde den 
Mund zu öffnen. Es kann geplaudert werden über ein Thema, 
das gerade im Bewußtsein des Kindes lebt. Das ewig neue Thema: 
„Was gestern gewesen ist?" regt ungemein an. Da erzählt ein 
Büblein, wie gestern der Schornsteinfeger im Hause war, wie er 
laut rufend verkündigt hat: „Heute wird gefegt!" Dann sei er 
aufs Dach gestiegen, es habe in den Röhren in der Wand gepoltert 
und geschabt, eine Zeit danach sei der schwarze Mann in die Küche 
gekommen, um die Maschine zu reinigen usw. Weil das frische Er- 
lebnis die Seele erfüllt, steht das Zünglein nicht still, und weil die an- 
deren das gleiche Erlebnis kennen, lernen sie hier auch, dem e i n- 
zelnen Schüler zuzuhören, eine Kunst, die ebenso schwer 
ist, als das Aufmerken auf das Wort des Lehrers. Das Plaudern 
über die alltäglichen Erlebnisse aber ist ein ganz ausgezeichnetes 
Mittel, das Interesse wachzurufen und wachzuerhalten. 
Plaudern macht die Kleinen beherzt, redelustig und mutig zum 
Wort: es dient weiterhin ganz außerordentlich der phonetischen 
Schulung. Wenn Fehler in der Aussprache gemacht werden — und 
sie werden überall gemacht —, so bietet der Plauderton ein vortreff- 
liches Hilfsmittel, die Ohren der Zuhörer auf solche Fehler aufmerk- 
sam und die kleinen Geister kritisch zu machen. Die mundartlichen 
Sprachmängel kommen zum Vorschein, so spricht z. B. der Berliner 
Abc-Schütze sein „heite" statt „heute", „scheen" statt „schön"; er 
spricht das „r" im Auslaut guttural, „Vata", „Mutta" statt „Vater" 
und „Mutter". Bei solchen Verstößen wird das Plaudern über den 
Sachgegenstand unterbrochen: es heißt die Ohren spitzen und nach- 
machen, es heißt für spätere Fälle auf die Aussprache aufmerken, 
weil sonst die Tadler kommen und drängen, daß es besser gemacht 
werde. Auch wenn eine Geschichte, ein Märchen wiedererzählt wird, 
sind solche phonetischen Richtigstellungen durchaus am Platze. Sie 
dürfen niemals außer acht gelassen oder als Störungen empfunden 
werden. Abgesehen von der Einführung in die geistige Disziplin sind 
sie eine ausgezeichnete Vorübung für den phonetischen Kursus, der 
die Leseübungen beherrscht. Die Übungen im Plaudern sollten auch 
nicht so bald abgebrochen werden, um die Lese- und Schreibtechnik 
an ihre Stelle zu setzen. Was man hier an geistiger Schulung ge-
	        
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