108 Charakter-Vögel Südamerikas,
Geschöpfe erfüllen, oder wohl gar den Einsamen zur Vermutung
der Nähe eines gefahrvollen Raubtieres und zur rascheu Be-
reitung auf Gegenwehr veranlassen.
1. Am wunderbarsten und die größten Täuschungen her-
beisührend ist der Ruf des abenteuerlichen Schirmvogels oder
Toropishu (d. i. Stiervogel) '), wie ihn die Eingeborenen
mit Recht nennen; denn kaum kann man sich überreden, daß
das undeutliche, vou dem Fremden leicht sür das erfreuliche
Zeichen der Menschennähe genommene Gebrüll eines Stieres
von einem Vogel, kaum größer als unsere europäische Krähe,
herrühre, der sich unmittelbar neben dem Überraschten in dem
Gebüsche verborgen hält. Die dumpfe Stimme tönt scheinbar
aus großer Ferne uud macht die Entdeckung des Tieres schwierig.
Hat ihn ein Schuß zu Boden geworfen, so wagt man es kaum,
den kohlschwarz aussehenden Vogel aufzunehmen: ein 2 Zoll
hoher buschiger Kamm des Kopfes legt sich drohend und das
Haupt fast verdeckend nach allen Seiten herunter, aus dem
weiten zum hochroten Rachen geöffneten Schnabel tönt ein
schlangenähnliches Zischen, die silberweißen Augen blitzen doppelt
gefährlich aus dem aufgesträubten Gefieder; und bei diesem An-
blicke denkt man, umgeben von umgefallenen Stämmen und von
hochaufgeschichteten Trümmern, unwillkürlich an die furchtbar
giftigen, gleiche Orte bewohnenden Reptilien.
2. In dem tiefsten Dunkel der Wälder lebt vereinzelt ein
wunderherrlicher Sänger; man bleibt lauschend uud gleichsam
festgebannt stehen, wenn seine Klänge, die durchaus mit nichts
zu vergleichen sind, als dem Schlage kleiner Glasglocken, viel-
fach moduliert, allein mit der richtigsten Beobachtung der Jnter-
vallen, in eine regelmäßige Melodie vereint. aus den Baum-
Wipfeln leise und langsam herabtönen. Es liegt etwas unbe-
schreiblich Sanftes, man möchte sagen, etwas Überirdisches in
diesem Glockenspiele, dessen Reiz durch das öde Schweigen des
weiten Waldes und die Unsichtbarkeit des überaus kleinen
1) Er nährt sich von Früchten und lebt meist in kleinen Gesell-
schaften auf hohen Bäumen. Das Geschrei, welches er, besonders am
Morgen früh und gegen Sonnenuntergang hören läßt, klingt schauer-
lich und gleicht dem fernen Brüllen eines Stieres. Er ist nicht sehr
häufig und sein Verbreitungswerk scheint sich auf wenige Gegenden
des westlichen Brasiliens und der östlichen Waldregion Perus zu be-
schränken.