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5. Da- sich im Harzgebirge die Herzogtümer Braunschweig
und Anhalt berühren, so mag als erste Stadt des letzteren auch
Ballenstedt (5 T.) am Harze zunächst genannt werden.
Ballenstedt hat heute noch deu vornehmen Ausdruck eiuer
kleinen Resideuzstadt gewahrt, obgleich sie aufgehört hat, eiue solche
zu sein. Vornehm ist in der Stadt das gesellige Leben, da
sie meist vou Beamten und reicheren Leuten bewohnt wird, die
hier ihr Ruhegehalt oder ihre Renten oerzehren. Vornehm ist auch
die Ruhe, welche iu der Stadt herrscht, da lärmender Fabrikbetrieb
von ihr ferngehalten wird. Vornehm erscheinen ebenso auch die
Landhäuser der Stadt, die au schönen Alleen in langer Reihe
nebeneinander stehen.
Eine solche Allee führt uns auch aus der Stadt zu dem
Schlosse hinauf, das mit seinen blinkenden Fenstern ans dem
Grün der Bäume blickt. Es besteht aus einem älteren und einem
neueren Baue. Jener soll aus dem 11. Jahrhunderte stammen
uud macht mit seinen kleinern Fenstern, mit den Erkergiebeln und
den Türmchen jetzt noch den Eindruck eiuer alten Burg. Dieser
hingegen ist ein einfaches, schloßartiges Gebäude, das ein fenster¬
reiches Quer- und ein Langhaus zeigt. Die Veranda des Schloffes
wird von Blumenbeeten, das Schloß selbst von einem Parke um-
geben. In dem Wildgarten, der sich hinter dem Parke ausdehnt,
werden Wildschweine und Rothirsche für die Jagd gehalten. Wie
die Stadt Ballenstedt ist auch dieses Schloß zu einem freundlichen
Ruhesitze geeignet uud wird als solcher iu der That auch vou einer
herzoglichen Witwe bewohnt.
Wandern wir von diesem Schlosse aus nach den blauen
Bergen des Harzes hin, die im Süden vor unsern Blicken er-
scheinen, so wird die muntere Selke der beste Führer sei». Wir
steigen in ihrem Thale auf, das durch frischgrüne Wiesen und
dunklen Bergwald ausgekleidet wird. Wir blicken nach den Gipfeln
und erkennen auf einem derselben die Reste einer Burg ans tarnten-
tragender Höhe. Es sind die Trümmer der Burg Anhalt, eines
Stammsitzes der regierenden Fürsten. Weiterhin bemerken wir auf
einer Anhöhe den Abdruck eines Riesenfußes, die „Mägdetrappe"
genannt, vou der erzählt wird, daß sich der Fuß einer Hünentochter
eingedrückt habe, als diese vom Ramberge aus in kühnem Sprunge
über das Selkethal setzte. Der Ort Mägdesprung, welcher in
der Nähe des sagenhaften Felsengebirges liegt, verarbeitet als