122 Sechstes Kapitel.
1878 — 84 in Schottland die Roheisenproduktion nur um 25 Proz., in Deutschland
dagegen um 70 Proz, zugenommen, in derselben Zeit die Verarbeitung schottischen
Roheisens in Deutschland von 170000 auf 100000 Tonnen pro Jahr gesunken sei,
daß die Entphosphorisierung der Eisenerze jetzt in Deutschland schon von 41, in
England hingegen erst von 19 Hütten betrieben werde; daß in Draht- und Stahl-
ivaren Deutschland England überflügele, und daß dies auch hinsichtlich der Maschinen
drohe. Ahnlich lauten die Angaben über die einzelnen Zweige der Textilindustrie.
Solche Urteile eines Ausländers sind sicherlich geeignet, uns mit frohen Hoffnungen
für die Zukunft zu erfüllen.
Im ganzen Gebiete des Deutscheu Reiches besteht Gewerbefreiheit;
die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21. Januar 1669 wurde
1872 auch auf Württemberg und Baden ausgedehnt, und in Bayern ivaren
inzwischen durch das Gewerbegesetz vom 30. Januar 1868 die früheren Be-
schränkungen beseitigt worden. Die in den meisten deutschen Staaten, wie in
Preußen, bestehenden Handelskammern dienen auch der Vertretung der Jnter-
essen der Gewerbe, doch hat der Umstand, daß in ihnen der Handelsstand zu
dominieren pflegt, dazu geführt, daß in Prenßen die Errichtung besonderer
Gewerbekammern geplant ist, welche in andern deutschen Ländern, z. B.
im Königreich Sachsen, schon seit mehreren Jahren eingeführt sind.
Die deutsche Industrie hat ihre größte Blüte in den preußischen Pro-
vinzen Rheiulaud und Westfalen, demnächst in den Provinzen Sachsen,
Schlesien, Brandenburg; auch die Königreiche Sachsen und Württemberg, Elsaß-
Lothringen sowie einige Teile von Bayern, Thüringen, Baden stehen in der-
selben hoch, dagegen entbehrt sie in den Provinzen Schleswig-Holstein und
Posen sowie in Mecklenburg und Schaumburg-Lippe einer größeren Bedeutung.
L 13. Die Textilindustrie.
Die Gewebeiudustrie, lind namentlich die Woll- und Leiuenindustrie,
sind in uuserm Vaterlande schon frühzeitig von Bedentnng gewesen (vgl. § 12).
Da aber die deutsche Schafzucht in dem letzten Jahrzehnt mehr und mehr
zurückgegangen ist, weil es derselben nicht möglich war, mit dem Anstände,
namentlich mit Australien, zu konkurrieren (vgl. § 4), so muß gegenwärtig
ein sehr großer Teil der Wolle ans dem Auslande bezogen werden; ähnlich
verhält es sich mit dem Rohprodukt für die deutsche Leiuenindustrie.
Im Jahre 1888 sind 149 959 Tonnen Wolle im Werte von 288737000 Mark
in Deutschland eingeführt worden, wozu noch an Wollgarnen 18982 Tonnen im
Werte von 92835000 Mark uud fertige Wollwareu 2034 Tonnen im Werte von
13008000 Mark kamen. Hingegen wurden im gleichen Jahre aus Deutschland aus-
geführt 12838 Tonnen Schafwolle, 6888 Tonnen Wollgarn im Werte von 42888000
Mark und 28 293 Tonnen fertige Wollwaren (Tuche, Zeugwareu, Plüsche, Schals,
Strumpfwaren, Posamentierwaren k.) im Werte von 243656000 Mark. — Die
Ausfuhr von Flachs betrug 1888: 40539 Tonnen im Werte von 27 566000 Mark,
die Einfuhr dagegen 63091 Tonnen im Werte von 41009000 Mark. — Es ist das
übrigens eine Erscheinung, die sich ganz ähnlich bei allen andern europäischen Ländern
mit bedeutender Woll- und Leinenindnstrie wiederholt.
Daß die deutsche Baum woll- und Seidenindustrie erst später zur
Blüte kam, kann nicht befremden. Eigentlich erst gegen Ende des 18.Jahrhun-
derts schwang sich die Banmwollweberei in Deutschland, und zwar in Sachsen,
empor, während die Seidenweberei nach wenig belangreichen Anfängen durch
Friedrich dem Großen in Preußen in Schwung gebracht wurde. Naturgemäß