Die staatliche Organisation und das politische Leben Deutschlands. 205 
Mitglieder entsprechend mitzuwirken und ihrerseits zu der ersprießlichen Leitung 
und Förderung des Gemeinwesens beizutragen. Eine nicht minder bedeutsame 
Neuerung war es, daß durch Scharnhorst der Grundsatz der allgemeinen 
Wehrpflicht aufgestellt und die Landwehr eingeführt wurde, womit die 
gleiche Verpflichtung und Berechtigung, das gemeinsame Vaterland zu der- 
teidigeu, aus alle Bürger ohne Unterschied übertragen und somit zugleich auch 
der Verweichlichung nnd Selbstsucht in dem modernen Staate die Spitze ab- 
gebrochen wurde. Der Plan Steins, jenen großen Reformen auch „Reichs- 
stäude" für deu ganzen Staat hinzuzufügen, kam wegen seines Rücktritts nicht 
zur Verwirklichuug und seine Nachfolger sahen davon ab. 
Durch die Bundesakte vom 8. Juni 1815 wurden zwar dem deutscheu 
Volke auch „ständische Verfassungen" nebst Preßfreiheit zugesichert, doch ließ 
man iu deu beideu deutscheu Großstaaten später diesen Gedanken fallen, be- 
sonders in Österreich, wo Metternichs Regiment die Regungen des Freiheits- 
gedankens gewaltsam zu unterdrücken suchte. Dagegen gingen die Fürsten der 
deutschen Mittel- und Kleinstaaten voran, ihrem. Volke Gelegenheit zur 
Teilnahme an der Förderung des Staatswesens zu geben. Am frühsten that 
dies der Großherzog Karl August von Weimar (1816), danu folgten Nasfan. 
Württemberg, Bayern und Baden (1818), später die meisten andern Mittel- 
nnd Kleinstaaten. Im allgemeinen zeigten sich die kleineren deutschen Fürsten 
überhaupt eiuer verfassungsmäßigen Entwicklung ihrer Staatswesen weniger 
abgeneigt als die Herrscher der beiden Großmächte, und da namentlich auch die 
Köuige vou Württemberg und Bayern (Wilhelm I. und Ludwig I.) einen den 
Wünschen des Volkes geneigten Sinn bekundeten, so konnte sich allmählich ein 
starker Gegensatz herausbilden uud das Volk mehr und mehr die Meinung fassen, 
„daß die kleineren Staaten die freieren wären, welche nnr durch die größereu 
im Bundestage zu allerhaud uuliebsameu Maßregeln gegen ihren Willen ge- 
zwnngen würden." Infolgedessen entwickelte sich, besonders in Süd- und 
Westdeutschland, der sogenannte „Liberalismus", welcher sich zuuächst auf 
die konstitutionellen Bestrebungen der kleinstaatlichen Kammern 
stützte, zugleich aber mit großer Aufmerksamkeit die parlamentari- 
fchen Kämpfe des Auslandes, besonders Englands und Frankreichs, 
verfolgte. Dieser „Liberalismus" bildete sich eiue Art Verfaffuugs- und 
Freiheitsideal, welches zu deu bestehenden politischen Verhältnissen in einem 
unversöhnlichen Gegensatze stand und einen mehr weltbürgerlichen als 
nationalen Charakter besaß. 
Aus derartigen Stimmungen erklärt es sich, daß die französische Juli- 
revolution (1830) in Deutfchlaud eiue gewaltige Aufregung, namentlich in 
Baden, Darmstadt. Rheinbayern, Braunschweig, Kurhessen, ja 
auch im Königreiche Sachsen hervorrief, wodurch dem Einflüsse Metternichs 
der Vorwand gegeben wurde, wieder neue, strenge Bnndesbeschlüsse herbei- 
zuführen, obwohl in den beiden deutschen Großstaaten die Ruhe nicht gestört 
worden war. Bald schien die alte Ordnung und Regelmäßigkeit derartig wieder 
hergestellt zu sein, daß König Ernst August in Hannover bei seinem Regie- 
ruugsantritte (1837) ohne weitere Umstände die bisherige Verfassung ab- 
schaffen konnte. In Preußen war unterdessen während der wohlwollenden und 
väterlichen Regierung Friedrich Wilhelms III. jene liberalisierende und
	        
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