Lehnert: Von Eues nach Kairo. 14^5 
langsam schleppte sich der Zug vorwärts. Allmählich gelangten wir in 
die Zone der reizenden Villeggiatnren und Landhäuser, welche Kairo in 
breitem Gürtel umgeben. 
Wohlgepslegte duftende Gärten und schattige Laubgänge umgeben 
die oft mit vorzüglichem architektonischem Geschmack und in allen Bau- 
arten aufgeführten Villen. Die Besitzer derselben und ihre Familien 
lagerten iu malerischen Gruppen in den luftigen Vorhallen und erwarte- 
ten in meist liebenswürdig bedenklicher Toilette die erste Abendkühle. Eine 
Tageshitze, wie sie hier im Sommer vorkommt, vermag wohl den Sinn 
für das Bedürfnis einer gewissen Etikette merklich abzustumpfen, woraus 
sich die so bequeme, patriarchalische Gleichgültigkeit auch in Bezug auf 
die Kleidung herausbildet. 
Schon seit geraumer Zeit fuhren wir längs der graugelben Acokat- 
tamberge dahin; da sah man, ich glaube, es war bei Shabiob, einer 
Station vor Kairo, das westliche Ende dieser Stadt mit der alten Cita- 
delle und den schlanken, hohen Minarets der Prachtvollen Mehemed- 
Ali-Moschee. 
Gleich darauf erschienen am nebelumhüllten Horizonte die geo- 
metrischen Figuren der berühmten Pyramiden von Gise, jene riesigen 
Baudenkmäler, die so zn sagen das Wahrzeichen Kairos bilden. Im 
Vordergründe aber — um das Bild harmonisch abzuschließen — glitzer¬ 
ten in den Tausenden weichen Tönen der untergehenden Sonne die 
Fluten des Nil durch das Laubwerk hindurch. Fürwahr! ein prächtiges 
Bild, das selten zu schaueu ist. 
Noch einige Haine schlanker Palmen und Sykomoren, deren mächtige 
Kronen der Wiud tüchtig schüttelte, durchfuhr der Zug, und bald waren 
die langen Häuserzeilen erreicht, welche die aufblühende Stadt Kairo^ 
„die Siegreiche", das Ziel unserer Reise, nach allen Richtungen der 
Windrose, lebenskräftigen Keimen gleich, ansetzt. In einem modernen 
und gut gehaltenen Wagen, den ein arabischer Kutscher vorzüglich zu 
lenken verstand, fuhren wir bald darauf völlig geräuschlos durch die uuge- 
pflasterten Straßen dem „Hotel dn Nil" zu, welches für die nächsten 
Tage unser vortreffliches Standquartier bildete. Vergessen waren die 
Beschwerden der elfstündigen Fahrt im ägyptischen Eisenbahnzwinger, 
nicht aber so der mächtige Eindruck jener Naturpracht, die wir bewun- 
dert hatten. (Siehe hierzu das Vollbild der nächsten Seite.)
	        
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