Payer: Eine Bergbesteigung in Grönland. 163
dieselbe, und klirrend wie Glasscherben fielen die abgebrochenen Eis-
zapfen in die vft ungeheure Tiefe. Die Anwendung des Seiles, an das
wir uns banden, war unerläßlich; denn wer hinabstürzte, konnte nicht,
wie bei einer europäischen Alpenpartie, oon ans dem Thale geholten
Leuten herausgezogen werden. Oft standen alle vereint auf einem schmalen
Eisbande, umgeben von einer trügerischen Schneedecke, unter welcher ein
schwarzer Abgrund tückisch lauerte. Wir mußten die Bergstöcke zu einer
Art gebrechlichen Brücke zusammenlegen, um auf dem Bauche darüber-
zukriecheu. Die hier vorherrschenden Nordwinde wehen Unmassen von
Schnee gegen die Bergwände, an deren Fuß sie sich anhäufen. So ge¬
schah es, daß die Schneetiefe plötzlich von einem drittel auf anderthalb
Meter zunahm, als wir uns der hohen Umwallnng des Firnkessels
näherten, und daß wir mit jedem Schritte bis zum halben Leibe ver-
sanken.
Mit vieler Mühe hatten wir uns etwa 100 Schritt weit, mehr
schwimmend als gehend, durchgearbeitet; als jedoch die Schwierigkeiten
noch immer wuchsen und wir uns überzeugten, daß wir die ersehnte Spitze
kaum in weiteren zehn Stunden, vielleicht auch gar nicht zu erreichen
die Aussicht hatten, so entschlossen wir uns, den Gletscher zu überqueren
und eine andere, jenseits desselben gelegene massive Felsspitze zu be-
steigen, welche die höchste Erhebung des den Gletscher umgebenden Ge-
birges war und den Vorteil der Schneelosigkeit bot.
Am Fuße ihres letzten Aufbaues angelangt, gab eine kurze Rast
dem sonst so kräftigen Ellinger, dem sein erster Gletschermarsch, sowie
Hnnger und Durst Übelkeit verursacht hatten, neue Kräfte. Indem wir
die schroffen Schuttabhänge des Berges, durchbrochen von horizontalen
Schichten eines in Glimmerschiefer übergehenden granatreichen Gneises em-
porstiegen, tranken wir aus jedem Rinnsal, um unseren brennenden Durst
zu löschen. Copeland ermüdete und bat uns, ohne Rücksicht auf ihn weiter
vorzudringen.
Um 81/2 Uhr, also nach zehnstündigem Marsche, erreichte ich mit
Ellinger die klippenreiche Spitze. Wir befanden uns gegen 15 Kilometer
im Westen des Schiffes; etwa 1 Kilometer entfernt, erblickten wir ein
imposantes, an 2500 Meter hohes und außerhalb des Gletschers zu unseren
Füßen gelegenes Eishorn. Eine von Copeland, nachdem er nachgekommen
war, ausgeführte Barometermessung unserer Spitze, deren Wahl sich als
eine sehr glückliche erwiesen hatte, ergab die Meereshöhe von nahezu
2200 Meter.
Weit über hundertmal war es mir bei meinen früheren Arbeiten
in den Alpen vergönnt, von mehr als 3 — 4000 Meter hohen Gipfeln
aus jene erhabene Pracht ihrer eisigen Hochregion bewundern zu können,
welche in unserer Zeit das Ziel sast aller Reisenden und Naturfreunde
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