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so hinreißend, daß hier in Athen eine eigenartige Schwelgerei entstehen
könnte, ebendiese im Genuß der Lichteffekte. Die Verbindung des tief-
blauen, heiter glänzenden, inselreichen Meeres und seiner duftigen Küsten
mit dem goldbraunen Ton des felsig starrenden Landes vollendet die Schön-
heit dieses Naturgemäldes, indem es zugleich der Phantasie die Fernen
der Mythe und der Geschichte erschließt. Das Meer fehlt der schwermuts-
vollen Campagua Roms; nur sein Heller Saum ist in ihr angedeutet;
aber in majestätischen Bogen durchzieht sie immer der volle, triumphierende
Tiberstrom, dessen Lauf man meerwärts meilenweit verfolgen kann.
Alle Linien und Formen in der Landschaft Athens sind geistiger,
feiner, durchsichtiger und verklärter, als die der Ebene Roms, aber sie
sind kleiner und begrenzter. Der Äther, der sie umfließt, ist göttlicher
und lichter, und der Gedankenstrom, der sie durchdringt, ist mit nichts
auf Erden vergleichbar. Denn wie muß eiu von Natur schön und an-
mutsvoll gestaltetes Land die Seele des Betrachters ergreifen, wenn sein
strahlender Himmel erfüllt ist mit den Göttergestalten der hellenischen
Dichtuug und seine geweihte Erde mit der edelsten Blüte des geschichtlichen
Menschengeschlechts. Ganz so natur- und geistgemäß wie die elysischen
Gefilde hier das ideale Athen umrahmen, ganz so dem großen Wesen
Roms entsprechend umschließt die feierliche Campagua dort die Majestät
der ewigen Stadt. Die Grazie und vollendete Schönheit der Tempel
und Bildwerke Athens läßt alle Denkmäler der Römer plump und schwer
erscheinen; aber die zaubervollen Formen der attischen Landschaft rauben
der Empfindung nichts von der tragischen Erhabenheit der Eampagna
Roms oder von dem überwältigenden Hauche des Weltschicksals, der aus
ihrem weiten Trümmerfelde weht.
Der Frühling hat die Ebene Athens mit einem zarten Grün be-
kleidet und dadurch ihre Ode gemildert; denn dieselbe schweigende Ver-
lassenheit liegt um die Stadt des Theseus wie um die des Romulus. Adler
schweben über fiebervollen Heiden hier wie dort, und dieselben Blumen
der Unterwelt, die grauen Asphodelen, bedecken die Hügelgelände hier
wie dort. Idyllische Schafherden, welche zottige Hunde und verwilderte
Hirten bewachen, wandern an den Ufern des Kephissos und des Jlissos
wie an denen des Tiber und Arno. Meiereien unter Oliven und Pinien
sind so dort wie hier Oasen gleich über die Landschaft zerstreut. Ich
war aber doch überrascht, die Ebene Athens bevölkerter zu finden, als
die römische Eampagna; denn sie enthält manche Dörfer, besonders gegen
den Parnes und den Pentelikon hin; aber alle diese Ortschaften rings
um die Hauptstadt der Helleneu sind nicht von Griechen, sondern von
fremd redenden Albanesen bewohnt. In der römischen Eampagna stehen
außer wenigen Weilern im unmittelbaren Stadtbezirk keine Ortschaften
mehr, aber auf den Vorhöhen der Gebirge dauern noch saturnische Städte