Full text: Bilder aus den deutschen Küstenländern der Ostsee (Bd. 11)

386 Das Weichselthal. 
ihres Blickes, die wenig von der Außenwelt kennt, bisweilen in ergötzlich 
komischer Weise. Da sie sich selten ans ihrem Besitztum herausrühren und im 
allgemeinen die gewohnte einfache, wenn auch sehr reichliche Lebensweise fort- 
setzen, wissen sie oft, auch wenn sie sich recht „groß thun" wollen, nicht recht, 
„wo sie mit ihrem Geld hin sollen". In der Regel bleiben sie bei ihrem 
„Machandel mit dem Knüppel", d. h. Wachholderschnaps mit Zucker, der mit 
einem Holzstäbchen umgerührt wird, süßem und starkem Grog, und Graves mit 
Zucker oder Muskatlüuel, welche Weine vor der Zunge eines rechten Wein- 
trinkers nicht gerade besondere Gnade finden würden, aber Champagner, weil 
da die Flasche recht teuer ist, wird bei öffentlicher Gelegenheit viel und mit 
Ostentation getrunken. 
Bei Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen geht es gewaltig hoch her. 
Eine sehr große Anzahl Gäste, die ganze, fast immer sehr zahlreiche Ver- 
wandtschast uud außerdem die Nachbarn, d. h. die Hofbesitzer desselben Dorfes, 
dürfen nicht fehlen. Bei den Frauen wird ein gewaltiger „Staat" von 
schweren seidenen Kleidern, hochausgetürmten stark bekrönten Hauben und an- 
derm Putz entwickelt, während auch die Männer lange Überröcke vom feinsten 
und teuersten Tuche tragen (der Leibrock hat sich glücklicherweise noch nicht ein- 
gebürgert). Die Fülle von Speise und Trank, bei diesen Gelegenheiten auch 
Wein, die konsumiert wird, ist ungeheuer. Für unser Gefühl haben namentlich 
die schon zeitig am Tage beginnenden Begräbnisse, bei denen zwischen den 
wiederholt, im Hause, in der Kirche, am Grabe immer in Verbindung mit der 
Absingung mehrerer Liederverse gehaltenen Reden des Predigers, immer wieder 
getafelt und zum Schluß tief hinein in die Nacht geschmaust und getrunken 
wird, wobei die nächsten Angehörigen immer auf dem Platze sein, die Gäste 
zum steißigen Zulangen nötigen und sich mit ihnen unterhalten müssen, etwas 
sehr Verletzendes. Aber es ist, wie einmal die Sitte es mit sich bringt, für 
die Angehörigen ein Bedürfnis, daß dem geliebten Verstorbenen durch ein glän- 
zendes Begräbnis die letzte Ehre erwiesen werde. 
Die einem Niederunger auf die von jemand gemachte Äußerung, daß Bil- 
dung doch auch eine wichtige und gute Sache sei, zugeschriebenen Worte: „Ei 
wat Bilding! de Bilding hebb' ick in de Dünning" (d.h. da, wo der Leib dünn 
ist, in der Hosentasche, in dem dort steckenden Geldbeutel) entsprechen jedenfalls 
einer bei vielen geltenden Gesinnung. Auch wo ein Streben nach Bildung zu 
Tage tritt, bleibt es bisweilen rein äußerlich und auf Ostentation berechnet. 
Nicht selten wird eine von den Töchtern auf einige Monate nach der Stadt 
geschickt, um auch die Bildung, da doch einmal davon so viel Wesens gemacht 
wird, wegzubekommen, um „Talente zu lernen", wie sie sich auszudrücken 
pflegen, d. h. iu der Regel, um Tanzen und etwas Klavier klimpern zu lernen. 
Einst brachte eine so „gebildete" Tochter einen neuen Flügel in das elterliche 
Hans zurück. Nun verlangten die beiden jüngeren Schwestern aber auch, ein 
solches „Spielzeug" zu haben, und da auch die Mutter das Verlangen durch- 
aus gerecht fand, mußte der Vater richtig noch zwei ebenso teure Instrumente 
kaufen. Zum Unglück hotte man aber die Lokalitäten nicht genug berücksichtigt; 
die beiden Flügel mußten auf den Speicher wandern, um so lange dazustehen, 
bis die Töchter sich verheiraten werden.
	        
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