Schwere Tage und „Schwörtag". 143
Diele derselben wurden mit Verbannung gestraft und die Trinkstuben der
Zorn und Mülnheim abgebrochen.
Die Grundzüge der damals (1332) beschlossenen Verfassung haben sich
durch viele Jahrhunderte erhalten. Wol hat sie im Laufe der Zeit uoch
manche Abänderungen erfahren, zu welchen die gesellschaftlichen Zustände
und schwere Heimsuchungen während des Mittelalters — wie die Juden¬
verfolgung und „das große Sterben" oder der schwarze Tod — häufig die
äußere Veranlassung gaben; aber der urdeutsche Geist des Verfassungswerkes,
wonach jedem Bürger die berechtigte Mitwirkung an einem großen freien
städtischen Gemeindeleben gesichert war, blieb unangefochten bis zn den
Zeiten der Französischen Revolution.
Die letzte wichtige Verfassungsänderung stammt aus dem Jahre 1482.
Durch dieselbe wurde die Zahl der Zünfte auf 20, die Zahl der Mitglieder
des Rathes auf 30 — nämlich 20 aus den Zünften, 10 aus den Ge-
schüchtern — festgestellt. Neben diesem allgemeinen oder großen Rathe
Gestanden zur Leitung der Geschäfte die sogenannten Kammern oder Ge-
Heimstuben für Polizei und Gerichtsbarkeit, die Beziehungen zu Kaiser
und Reich, das Militär- und Festungswesen, die Überwachung der Ver¬
fassung u. s. w. Vor allen letzten Entscheidungen in wichtigen Angelegen-
heiten mußte die gesammte Bürgerschaft in der Schöffenversammlung,
je 15 erwählte Schöffen aus jeder Zuuft, befragt werden.
An jedem ersten Donnerstag im Jahre, dem sogenannten Kürtage,
wurde der neue Rath gewählt. Der nächste Dienstag war der Schwör-
tag, an welchem die neuen Väter der Stadt den Eid auf die Verfassung
leisteten, während alle mehr als achtzehnjährigen Bürger ihnen Treue und
. 'Gehorsam gelobten. Der Schwörtag war ein hoher städtischer Festtag und
wurde mit großer Feierlichkeit begangen.
Auf dem Platze vor dem Münster sind die Innungen mit ihren
Bannern aufgestellt. Vor dem Dome selbst hat man eine breite Tribüne
errichtet, von welcher ein Damastteppich in den Farben der Stadt, weiß
und roth, herabhängt; auf ihm liegt entrollt ein würdiges Pergament mit
den Siegeln der Stadt, der Adelsvereine und der Zünfte — es ist die
Verfassungsurkunde.
Jede neu erscheinende Gruppe wird auf dem Platze mit einer Fanfare
der Stadtpfeifer begrüßt. Nachdem alle Festtheilnehmer ihre Plätze ein-
genommen haben, schlägt es vom Münsterthurm neun Uhr, d. h. der
Thurmwächter läßt auf ein gegebenes Zeichen die Glocke Nenn schlagen;
denn eher nicht, als bis die Versammlung ordnungsmäßig erschienen, darf
die Vollendung der neunten Stunde verkündet werden. Jetzt erheben die
Stadtpedelle ihre Stimmen und rufen dreimal dnrch die rundum Herr-
schende Stille: „Ihr Herren, tretet vor und höret in Gottes Namen!"
Darauf wird die Verfassung vorgelesen, wie dieselbe im Jahre 1482 ver-
vollständigt und zum letzten Abschluß gebracht wordeu ist.
Zuerst schwören die neuerwählten Städtemeister in die Hände des
Ammeisters, alsdann umgekehrt dieser Letztere in die Häude der Ersteren,