274 Der Harz und seine Umgebung.
Stadt am Sarge. Am 20. Februar hielt Coelius eine zweite Leichenpredigt,
worauf zwischen 12 und 1 Uhr der Leichenzug von den Grafen mit einem
Gefolge von 50 Edelleuten zur Stadt hinaus gen Wittenberg geleitet wurde,
wo er am 22. Februar anlangte.— Das Gotteshaus, welches au Erinnerungen
an des Reformators Ende fo reich ist, enthält jetzt Bronzebüsten von Luther und
Melanchthon; ein einfaches Brustbild erinnert außerdem an Johann Arnd,
welcher als Seelsorger dieser Kirche 1609—1611 sein „Wahres Christentum"
schrieb. Der Altar ist mit kunstvollen Holzschnitzereien aus dem Jahre 1483
(also dem Geburtsjahre Luthers) geschmückt, welche die „Präsentation Mariä"
darstellen; hinter der berühmten „Lutherkanzel" liegt eine Grabkapelle der
Mansfeldschen Grafen mit sehr sehenswerten Denkmälern. — Luthers Sterbe¬
haus ist gegenwärtig, wie auch sein Geburtshaus, Eigentum der Regierung und
wird zur dauernden Erinnerung an den Reformator erhalten.
Zum Schlüsse fügen wir noch über sonstige Merkwürdigkeiten Eislebens
einige Notizen hinzu. Von dem alten Schlosse, das wahrscheinlich bereits zu
Anfang des 11. Jahrhunderts erbaut wurde, steht nur noch ein isolierter runder
Turm. In demselben residierte Hermann von Luxemburg, den die Feinde
Heinrichs IV. nach dem Tode Rudolfs von Schwaben zum Gegenkönige erwählt
hatten, im Jahre 1082; und weil damals um Eisleben viel Knoblauch gebaut
wurde, nannten ihn die Anhänger Heinrichs den „Knoblauchskönig". Noch
jetzt befindet sich an der östlichen Seite der Andreaskirche und an der Rathaus-
treppe als Wahrzeichen der Stadt ein gekrönter Kopf, der diesen „Knoblauchs-
fönig" vorstellt. Im Jahre 1601 brannte das später von den Grafen bewohnte
Schloß ab und blieb seitdem Ruine. In der Neustadt fällt neben einem Brunnen
die knieende Figur eines Bergmanns auf, welche unter dem Namen „Martin"
bekannt ist und wahrscheinlich das Wahrzeichen der „neuen Bergstadt" bildet.
Von der Höhe der Annenkirche, bei welcher eine kurze Zeit Augustinermönche
hausten, hat man einen fchönen Blick über die Stadt und den Eisleber Grund
bis zum „süßen See", an dessen Ende sich Schloß Seeburg erhebt.
Sänger des Karzes. Jus der Geschichte der sächsischen und
fränkischen Kaiserzeit. Wie wir schon erwähnten, ist das Harzgebirge,
namentlich an den tief eingeschnittenen Thalrändern, aber auch auf den aus-
gedehnten Plateaus, sehr waldreich. Kein Wunder also, daß sich hier, wie
gleichfalls früher bemerkt, das Wild in großer Menge heimisch fühlt.
Zwar fehlt es nicht an großen Treibjagden im Herbste, nicht an Wildschützen,
die zu jeder Zeit den Waldtieren nachstellen, aber die Natur erzeugt doch immer
wieder in ausreichender Weife jungen Nachwuchs als Ersatz für die der Kugel ver-
fallenen Opfer. Auf den Zweigen der stattlichen Bäume des Gebirgswaldes aber
schaukeln sich die gefiederten Sänger: Finken, Meisen, Dompfaffen, Krenz-
schnäbel, Girlitze, Rotkehlchen, um den ewig gleichen und fröhlichen Früh-
lingsreigen anzustimmen, sobald der Winter die Berge wieder auf kurze Zeit .ver-
läßt. Dann bauen sie sich ihr Nest in den grünen Zweigen und genießen bald des
stillen Familienglückes einmal, auch mehrfach. Oft freilich wird dasselbe von
grimmen Feinden bedroht, vor denen die Eltern weder sich noch die Ihrigen zu
schützen vermögen. Erfreulicherweise hat zwar das Gesetz den Vogelfang, der früher
in den Harzwäldern von zahlreichen Vogelfängern aus Braunlage, Harzburg,