332 Eisenach und die Wartburg.
Da wendete sich das deutsche Gemüt von der trüben Gegenwart zur Ver¬
gangenheit, um sich an den Thaten eines Dietrich, eines Siegfried, und wie die
Helden alle heißen mögen, aufzuerbaueu. Was die Sage bereits verklärt hatte,
wurde poetisch wiedergeboren, so entstand das Epos. Aber auch der Gegen-
wart gewann man eine ideale Seite ab, man wendete sich in das Reich der Liebe
und übte das Rittertum, das man der Frau schuldig war, in Minneliedern;
oder man stellte der unerfreulichen wirklichen Welt in Klage oder Zorn das
Ideal entgegen, davon sich jene so weit entfernt hatte. Das ist die Lyrik dieser
Zeit, die man mißbräuchlich insgesamt mit dem Namen der Minnedichtung be-
zeichnet. Der Gedanke der Minne überwiegt und hat daher der Zeit ihr Gepräge
und der Poesie den Namen gegeben.
Das Beispiel war ja in Frankreich durch die Troubadours gegeben; aber
daß das deutsche Rittertum so rückhaltlos dem Frauendienste verfiel, daß die
ritterliche Phantasie von dem Minnewerben sich so gänzlich beherrschen ließ und
daß sie die Symbolik und den Schmuck ihrer Minne fast ausschließlich in den
anmutigen Reizen sommerlicher Natur faud, läßt sich nur aus dem Niedergange
des nationalen Hochgefühls erklären. Die Sterne sind untergegangen, der Anger
mit seinen Blumen tritt an ihre Stelle.
„Du bist kurzer, ich bin langer:
Alsö stritent üf dem anger
bluomen unde kle."
Selbst in die gewaltigsten Momente der Heldensage drängt sich dieser
Blumenflor ein. Als es zum Mordbrunnen geht im Nibelungenliede, springen
Gunther und Hagen wie zwei wilde Panther durch den Klee; als Hagen die
grause That gethan, fällt der gewaltige Siegfried in die Blumen, die um den
Brunnen stehen, und „die Blumen allenthalben vom Blute waren naß". Das
Gewaltige, das Erhabene fehlt in der Minnedichtung; selbst die elementaren
Mächte der Natur, die Nacht mit ihrem Dunkel, der Wald mit seiner Wilde
wurden gemieden; der Baumgarten an der Burg, der Anger vor dem Walde,
die grüne Heide, die Linde am Brunnen: das sind die Stätten, wo die Phantasie
sich heimisch fühlt. Licht und freundlich muß die Umgebung sein, denn der
Mensch dieser ritterlichen Gesellschaft will sich hochgemut und heiter fühlen; ist
es doch höfische Pflicht „bei den Leuten", d. h. in der Gesellschaft, hochgemut
und heiter zu sein.
Nur ein großes, erhabenes Trachten geht auch durch diese Welt, es ist die
Tendenz der Kreuzzüge. Aber auch dies Trachten ist für die deutsche Ritter-
schaft ohne greifbare Frucht gewesen. Während die französischen Ritter im ersten
und im vierten Kreuzzuge sich Ruhm und Landbesitz, ja Kronen erkämpft haben,
sind die Züge Konrads HI. und Friedrichs I. traurig gescheitert, und die Ritter-
schaft des heiligen Landes sieht auf die Deutschen herab.
Wie die deutsche Ritterschaft im allgemeinen, mochte auch Landgraf Her-
mann in der großen politischen Welt nicht seine Rechnung finden. Sein Ehr-
geiz blieb unbefriedigt, und er hatte die Weisheit, sich an dem Erreichbaren
schadlos zu halten. Er sammelte die Dichter und Sänger um sich und machte
dadurch die Wartburg zum Mittelpunkte des damals herrschenden deutschen
Geisteslebens. Seine Motive dürsten wohl selbstsüchtiger Art gewesen sein;
aber gerade die Geschichte nnsrer Landgrafen gibt uns ja wiederholt Beweise