Full text: Bilder aus dem westlichen Mitteldeutschland (Bd. 6)

72 Die Wesergegenden von der Porta bis zum Tieflande. 
liegend, bis sie zuletzt, bei Daniel Volterra, rücklings quer hingestreckt, unwürdig 
auf dem Boden gesehen wird." Andere Kunstkenner rühmen die gleichmäßige Aus- 
füllung des quadratischen Feldes von ca. 3,g m, die feine Durchführung in der 
Gewandung und anderes. Allenfalls könnte man die Länge und Hagerkeit der 
Figuren tadeln: doch dies lag in dem Typus der mittelalterlichen Kunst. 
Schwieriger ist die Deutung des darunter befindlichen, arg verwitterten 
und arg verstümmelten Steinreliefs, das dem obern zur Folie zu dienen scheint. 
Es stellt einen Mann mit Kinnbart und ein Weib in faltenreicher Gewandung 
dar, die von einem drachenartigen Ungeheuer laokoonartig umschlungen werden; 
zwischen sie drängt sich ein schwanen- oder adlerähnlicher Vogel gleichsam ab- 
wehrend hindurch. Die meisten Ausleger haben es für Adam und Eva, um- 
wunden von der Sündenschlange, erklärt. Dem scheint jedoch die sonst typische 
Darstellung des ersten Menschenpaares zu widersprechen. In der Regel werden 
nämlich Adam und Eva ganz nackt abgebildet; auch ist Adam bartlos. Ferner 
windet sich eine ganz glatte Sündenschlange um den Erkenntnisbaum; hier aber 
sehen wir ein drachenartiges Ungetüm. Von dem Erkenntnisbaume kann man 
auch auf unferm Steinrelief nichts entdecken; wenigstens halten wir die fächer- 
artigen Umrisse im Hintergrunde nicht dafür, sondern eher für den Schwanz 
des Vogels. Mann und Weib nähern sich hier vermutlich zur zärtlichen Um- 
armuug, wie dies auch ein Sargdeckel ans dem etruskischen Vulci darstellt. Was 
bedeutet aber der rätselhafte Vogel, der sich im Kampfe mit dem Drachen befindet? 
Schierenberg, ein eifriger Forscher im Teutoburger Walde, dem sicher- 
lich das große Verdienst gebührt, auf die Bedeutung der Externsteingrotte als 
frühere wichtige heidnische Kultusstätte hingewiesen zu haben, erklärt das Steinbild 
für Sigurd und Bryn Hilde, die Hauptrepräsentanten der deutschen Helden- 
sage, umschlungen von dem mythischen Drachen, emporgehoben von dem Vogel 
der Zeit. Er findet in der ganzen Grotte die Umrisse eines von Varns an 
der Stätte germanischen Götterkultus angelegten Mithrastempels. Darum ver- 
gleicht er ein Steinbild an dem hintern Ausgang der Höhle, in dem der Apostel 
Petrus, wie er nach den biblischen Worten: „Dn bist Petrus, und auf diesen 
Felsen will ich meine Kirche bauen" symbolisch in einen Felsen übergeht, 
deutlich zu erkennen ist, mit einem Mithrasgötzen. Ja, Schierenberg, der mit 
feinem wunderbaren Seherauge hier gar mancherlei erblickt, schaut im Geiste 
hier eine jener germanischen Seherinnen, wohl Velleda selbst, die aber nach 
Tacitus in einem hohen Turme wohnte. Später mag die Grotte einem 
christlichen Einsiedler zum Aufenthaltsorte gedient haben. Doch kehren wir zu 
unferm rätselhaften Steinbildnis zurück. Uns erscheint jener Vogel im Kampfe 
mit dem Drachen nach der Symbolik der Apokalypse die Kirche zu bedeuten, 
die mit dem Satan ringt. Das in den Klauen desselben sich befindende 
Menschenpaar mag ein heidnisches Paar versinnbildlichen, vielleicht gar ein 
historisches. Sollte es zu kühn fein, an Wittekini> und seine Gemahlin zu denken, 
falls das Bild sich wirklich auf die Einführung des Christentums unter Karl 
dem Großen bezieht? — Dieses Paar aber wird durch die christliche Kirche 
(den Vogel) aus den Klauen des Satans oder der Sünde (Drachen) erlöst. 
Diese symbolische Auslegung wird durch ähnliche Darstellungen auf Kirchen- 
portalen, wie z. B. das vielbesprochene Großenlindener, wesentlich unterstützt. 
Unter den Reliefbildern des Portals dieser burgartig gebauten Kirche, welche
	        
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