Freiberg, Sachsens Berghauptstadt. 145
besonders gern bergmännische Schriften, Bilder und Karten auf. Von den
nahen Schachtgebäuden, ja fogar in der Stadt selbst (auf der „Roten Grube")
ertönt in gemessenen Zwischenräumen das Signalglöckchen unterirdisch arbeitender
Wasserhebungsmaschinen, und zu ungewohnter Stunde hört man den Klang des
Bergglöckchens. Auf den Straßen begegnen uns zuweilen die kastenartigen Erz-
wagen, welche das Erz von den Gruben nach den Schmelzhütten befördern,
auch jederzeit einzelne gerade nicht unter der Erde beschäftigte Bergleute in
ihren schwarzen Blusen; in größerer Zahl aber ziehen sie gegen 5 Uhr früh
und 3 Uhr nachmittags beim Schichtwechsel durch die Stadt. Auch im geselligen
Verkehr merkt man, wie innig ein großer Teil der Bevölkerung mit dem Berg-
wesen verwachsen ist. Ausdrücke und Redensarten , die dem Uneingeweihten
fremdartig klingen, schlagen an unser Ohr, und Titel wie Oberkunstmeister,
Bergwardein, Hüttenraiter, Vizeeinfahrer und andre wecken in unserm Geiste
oft nur unvollkommene Begriffe.
Es ist schon oben angedeutet worden, daß sich die in Freiberg neben dem
Bergbau bestehende Industrie zunächst im Anschluß an letzteren entwickelte.
Das älteste Etablissement dieser Art ist die Fabrik leonischer und echter Gold-
und Silberdrähte, die schon 1692 von Thomas Weber, einem Gürtlergesellen,
dem Sohne armer Eltern in Niederlungwitz bei Glauchau, errichtet wurde.
Sowohl echte als auch unechte (leonische oder lyonische) Gold- und Silberdrähte
werden gezogen, die starken in dem Hammerwerke an der Mulde, die feineren
in der Stadt felbst. Die leonifchen Drähte bestehen aus Kupfer und find nur
vergoldet oder versilbert. Aus den Drähten werden Gespinste, Tressen, Schnüre,
Spitzen und andre Gegenstände hergestellt, teils in der Fabrik selbst, teils durch
Hausindustrie in der Stadt und in der weiteren Umgegend, und zwar vor-
wiegend von Frauen und Mädchen, die daneben ihren hauswirtschaftlichen Ob-
liegenheiten nachkommen können. Sie finden nach den verschiedensten Gegenden
Absatz, der besonders in neuester Zeit gewachsen ist, seitdem infolge der An-
erkennung Deutschlands als erster Militärmacht die Ausrüstung der deutschen
Truppen das Muster für fremde Armeen geworden ist und selbst bei trans-
ozeanischen Völkern nachgeahmt wird. Daher gehen viele von diesen Waren
nach der Levante, Amerika und Ostindien. Mit dem Bergbau hängt serner die
Schrotfabrik zusammen, die sich inmitten der Stadt befindet und in welcher das
Gießen des Schrotes über einem alten Schacht erfolgt. Die Herstellung von
Gold- und Silbersalzen, von Snperphosphat und andern künstlichen Dünge-
Mitteln steht in Zusammenhang mit dem nahen Hüttenwesen. Mechanische
Werkstätten liefern hier die feinsten mathematisch-physikalischen und optischen
Instrumente für den Bergbau, die Laboratorien n. f. w. Daß in neuerer Zeit
die Zigarrenfabrikation in Freiberg eingezogen und schnell an Umfang gewonnen
hat, läßt sich ebenfalls mittelbar auf den Bergbau zurückführen. Die Löhne,
welche derselbe gewährt, sind leider nicht von der Höhe, daß der Bergmann in
der Gegenwart allein von ihnen mit seiner meist zahlreichen Familie leben
könnte, und Frauen und Töchter müssen daher auch zu erwerben suchen, wozu
die Fabrikation von Zigarren, die zu einem guten Teile als Hausindustrie
getrieben werden kann, eine günstige Gelegenheit bietet. Zu den neueren, un-
abhängig vom Bergbau entstandenen Industriezweigen gehört die Fabrikation
von feinen Lederwaren, Sprit und Essig, gewerblichen nnd landwirtschaftlichen
Deutsches Land und Volk. VII. Ig