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Dieselbe an Denselben.
Den 24. Juni.
Noch immer sind meine Briefe hier, weil nicht nur Wind, sondern Stürme
alles Auslaufen der Schiffe unmöglich machten. Nun schicke ich Ihnen einen sichern
Menschen, und fahre deshalb fort, Ihnen Nachrichten von hier mitzutheilen. Die
Armee ist genöthigt gewesen, sich immer mehr und mehr zurückzuziehen, und es ist
von Russischer Seite ein Waffenstillstand auf vier Wochen abgeschlossen worden.
Oftmals klart sich der Himmel auf, wenn man trübes Wetter vermuthet, es kann
auch hier sein; Niemand wünscht es, so wie ich; doch Wünsche sind nur Wünsche
und noch kein fester Grund. Also Alles von Dir dort oben, du Vater der Güte! —
Mein Glaube soll nicht wanken; aber hoffen kann ich nicht mehr! Ich berufe mich
daher auf meinen Brief, er ist aus der Tiefe meiner Seele geschrieben. Sie ken¬
nen mich ganz, wenn Sie ihn gelesen haben, bester Vater. Auf dem Wege des
Rechts leben, sterben und, wenn es sein muß, Brot und Salz essen; nie werde ich
ganz unglücklich sein: nur hoffen kann ich nicht mehr! Wer so von seinem Himmel
heruntergestürzt ist, kann nicht mehr hoffen. — Kommt das Gute, o! kein Mensch
kann es dankbarer empfinden, als ich es empfinden werde, aber erwarten thue ich
es nicht mehr. Kommt das Unglück, so wird es mich auf Augenblicke in Verlegen¬
heit setzen, aber beugen kann es mich nie, sobald ich es nicht verdiene. Nur Unrecht
unsererseits würde mich zu Grabe bringen; aber dahin kommt es nicht, denn wir
stehen hoch. Sehen Sie, bester Vater, so kann der Feind der Menschen nicht
über mich.
Der König ist seit dem 19. mit dem Kaiser vereint; seit gestern sind sie in
Tauroggen, nur ein paar Meilen von Tilsit, wo der französische Kaiser ist. Ich
bin ganz die Ihrige. ' Louise.
14 e. Maria, Gräfinn von Schaumburg-Lippe, an ihren Lehrer,
den Superintendenten und Hofprediger Herder.
Bückeburg, den 31. December 1772.
Gegen Ew. Hocbehrwürden, meinen Lehrer, dem ich so viel schuldig bin, den
ich über Alle bisherigen Bekannten verehre, dieses Jahr mit Stillschweigen zu be¬
schließen, würde mir strafbar erscheinen; und nie könnte ich es unterlassen, wenig¬
stens den Dank von ferne zu zeigen, der heute so neu und stark in meiner Seele
spricht, für alle Wohlfahrt, die mir Gott in verstossener Zeit auch durch Sie wi¬
derfahren lassen, für alle mündlichen und schriftlichen Unterweisungen, deren ich
gewürdigt worden bin! Gott erfülle, was mein segnender Dank Ihnen wünscht,
so weiß ich, sind Sie besser belohnt, als ich es zu thun im Stande bin. Gewiß
hier kann ich's nicht zeigen, aber in jener bessern Welt, wenn wir uns dort wieder
finden:
Da will ich ihm den Dank bezahlen, der Gottes Weg mich gehen hieß,
Und ihn zu Millionen Malen noch segnen, daß er mir ihn wies.
Da find' ich, Herr, in Deiner Hand den Freund, den ich auf Erden fand.
Wünschten Sie beim Antritt Ihres Amtes allhier einer Irrenden in jeder Art,
einer zweifelnden, betrübten, müden, am Leben verekelten oder betrogenen Seele ein
Freund zu werden: so glauben Sie, daß Sie mir ein solcher geworden, daß das
Wort der Wahrheit aus Ihrem Munde zur Lehre, Ermahnung und Trost mir nie
dürre noch leer geworden, und ich manche bange Stunde dieses Jahres, die Sie
theils wissen, größtentheils aber nicht kennen, nicht ertragen hatte, wenn ich
nicht die Wohlthat gehabt, deren ich mich habe erfreuen dürfen. Möchte doch die
neu angehende Zeit Ihnen eine Zeit der Freude werden! Möchte sie Ihr Hoffen