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und stürzt, zu erkennen, wie nach allem Wechsel und der
ungeheuersten Umwälzung doch immer eins unzerstört
und unverletzt hervortritt im Völkerleben — Recht und
Tugend!“ (Luden.)
Mag auch der Geschichtsschreiber selber in strenger
Objektivität (Sachlichkeit) sich darauf beschränken, ge¬
schichtliche Verhältnisse darzustellen lediglich wie sie ge¬
worden und gewesen sind 1), ohne sein eigenes Urteil über
Wert oder Unwert von Personen und Verhältnissen einzu¬
flechten: für den, der sich an der Geschichte bilden und
erheben will, ist es von hoher Bedeutung, wenn auf das,
was sie in dem einzelnen Falle an ernster Lehre predigt,
klar und bestimmt hingewiesen wird. Darin liegt die Kraft
des Unterrichts. Der sittliche Maßstab ist daher der
vornehmste Gesichtspunkt auch der geschichtlichen Lek¬
türe. Nüchterne Beschränkung auf die Darstellung der
Ereignisse selber läuft Gefahr, in Gleichgültigkeit für gut
und böse auszuarten, deren klare Unterscheidung in Leben
und Geschichte doch eine so große Rolle spielt. „Urteile,“
sagt ein strenger englischer Geschichtsschreiber (Lord
Acton), „über Talente nach ihren besten Leistungen, über
Charaktere aber nach ihren schlimmsten Handlungen!“
Denn eine große Lehre predigt die Geschichte von Anbeginn:
das ist die Idee der Gerechtigkeit. „Die Welt¬
geschichte ist das Weltgericht“ (Schiller). Das Bewußtsein
von der Herrschaft dieser Idee hat einen hohen sittlichen
Wert.
Aber, so könnte man einwenden, sehen wir in der Ge¬
schichte nicht doch häufig das Gute untergehn, das Schlechte,
das Schuldhafte triumphieren? Hat nicht Voltaire gar ge¬
spottet: ,,L’ histoire n'est que le tableau des crimes?“ Und
dennoch bleibt es wahr: „Alle Schuld rächt sich auf Erden.
J) Sog. genetische, d.h. entwickelnde Darstellung.