74 Die Zeit der Restauration.
lichen Empfinden entsprach. Allerdings erhob sich gegen die Union und mehr
noch gegen die damit verbundene Einführung einer neuen Agende von seilen
mancher lutherischen Geistlichen (Klaus Harms) und ihrer Gemeinden heftiger
Widerspruch, durch welchen sich der König und Altenstein zu scharfen Maß-
regeln gegen die „verkehrten und unstatthaften Richtungen des Pietismus,
Mystizismus und Separatismus" hinreißen ließen; aber die Zahl derer, die
sich der Union nicht anschließen zu können meinten, und trotz allen staatlichen
Druckes an ihrem alten Bekenntnis festhielten (Altlutheraner), blieb dennoch
verhältnismäßig gering.
2. Der starke Zuwachs an ka th olifch er Bevölkerung deutscher Nationalität
erforderte auch eine Vereinbarung des Staates mit der römischen Kirche über
ihr gegenseitiges Verhältnis. Ein solches staatsrechtliches Abkommen mit der
Kurie war um so unentbehrlicher, als die neuerworbenen überwiegend katholischen
Landesteile früher geistliches Gebiet gewesen waren, dessen Bevölkerung den
Gedanken der staatlichen Obergewalt auch über das Kirchentum ganz un¬
faßbar fand.
a. Das Ziel der Verhandlungen mit Rom mußte also in erster
Linie darin bestehen, dem Staatsrechte die Überordnung über das Kirchenrecht
vertragsmäßig zu sichern. Da die römische Kirche durch die Säkularisationen
ihrer materiellen Unterlage beraubt war, galt es ferner, Bestimmungen über
den Unterhalt der Kirche zu treffen.
b. Die Machtansprüche des Papsttums, das bie vom Staate
geforderte Gleichberechtigung ber Bekenntnisse verwarf unb nach wie vor an
der Idee der kirchlichen Weltherrschaft festhielt, gestalteten die Verhandlungen
mit einem überwiegend protestantischen Staate von vornherein aussichtslos.
Dennoch hielt ber preußische Geschäftsträger in Rom, ber Historiker Riebuhr,
der, wie bie meisten anbren hohen Staatsbeamten, bie Macht bes Papsttums
weit unterschätzte,1) ein günstiges Konkorbal für möglich; nur müsse man ver-
meiben, von ber Kurie einen ausbrürflichen Verzicht auf ihre prinzipiellen
Machtansprüche zn forbern.
c. Da auch Altenstein beit König in ähnlicher Weise beriet, würbe be¬
schlossen, mit bem Papst nur über bie Abgrenzung unb Ausstattung ber neu
zu errichtenbeit Lanbesbistümer zu verhandeln. Die überaus entgegen-
kommenben Anerbietungen des Königs2) wurden vom Papst dank-
bar angenommen, 1821 wurde die Übereinkunft zwischen Preußen und
der Kurie unterzeichnet. Eine päpstliche Zirkninfkriptionsbulle über die
Einrichtung der neun Landesbistümer und ein Breve über die Bischofs-
wählen wurden von Staats wegen veröffentlicht und damit die Be-
hauptung der staatlichen Oberhoheit dargetan. (Der Staat hatte auf keinerlei
Rechte verzichtet, fonbern bie Befugnisse ber Kirchenhoheit — Entscheibung
bei Bischofswahlen, Aufsicht über bie kirchlichen Unterrichtsanstalten zc. fest in
der Hanb behalten.)
d. Bei ber zunehmenben Verschärfung ber konfessionellen Gegensätze burch
bie rasch anwachsenbe ultramontane Bewegung aber konnte bies bem Papst zu
*) Niebuhr betrachtete das Papsttum als eine versinkende Macht, deren Harmlosig-
fett dem Staate nie gefährlich werden würde.
2) Der König gewährte der katholischen Kirche einen Staatszuschuß von 712 OVO Talern,
während sich die protestantische Kirche mit 24Ü000 Talern begnügen mußte.