166 Die Umgebungen der Hauptstadt.
Publikum, wol mehrere tausend Personen. In der Mitte des Platzes ist eine
Estrade, von welcher Regimentsmusik spielt. Die schaulustige Menge drangt sich
um die Wagen der königlichen Familie, deren Mitglieder nngenirt an dem Treiben
Theil nehmen; nur das Haupt derselben ist nicht anwesend. In schön vergol-
deten Phaetons, in von allen Seiten mit Glasfenstern versehenen Kutschen, zum
Theil in damals sogenannten Wurstwagen, an deren Schlägen Pagen und Hei-
ducken stehen, fahren die Prinzessinnen die Hauptallee entlang, und die Offiziere
des Regiments Gensdarmes und Zietenhnsaren wetteisern in Pracht der Uni-
formen und lassen ihre in reichen Schabracken prangenden Rosse in allen Gang-
arten paradiren. Am Wasser erblicken wir einige Leinwandzelte, deren erste
von zwei Resugies, Dortn und Thomassin, im Jahre 1745 erbaut wordeu
waren. Jetzt hatten zwei Restaurateure auch schou hölzerne Schankstätten er-
richtet; an der einen, welche der Resugie Mourier kürzlich aufbaute, sehen wir
eine goldene Gans als Schild prangen mit der doppelsinnigen Inschrift: Mon-
noie (mon oie) fait tout.
Im Todesjahre des Alten Fritz (1786) finden wir schon festere, für deu
Winter berechnete Buden, denn inzwischen war das Schlittschuhlaufen und
Piekschlittenfahren auf den beiden Armen der Spree hier, deren füdlicher jetzt
verschüttet und in eine Straße, die Fortsetzung des Kronprinzenufers, verwandelt
worden ist, Mode geworden. Gleichzeitig ist den Etablissements der ursprüng-
liche Name „die Zelte" bis auf den heutigen Tag verblieben. Zehn Jahre
zuvor, im Juli 1776, gab hier der Prinz Ferdinand zu Ehren des Großfürsten
Paul, nachmaligen Kaisers von Rußland, ein großes Fest, wozu man zwischen
dem Zirkel und dem jetzigen Schloß Bellevue, stromabwärts, da, wo der ehe-
malige sogenannte Poetensteig abführt, unter Mitbenutzung eines ebenfalls halb-
runden, mit der offenen Seite nach der Spree zu belegenen Platzes, weitläufige
Anstalten getroffen hatte. Die Berliner, von jeher ein neugieriges Völkchen,
waren in Massen zusammengeströmt, als der Himmel seine Schleusen öffnete
und Gerechte wie Ungerechte mit einem Platzregen übergoß. Ein allgemeines
Sauve-qui-]>eut brach ans, und der Weg zur Stadt war schließlich, wie eiu
Augenzeuge berichtet, weit und breit mit verloren gegangenen Bändern, seidenen
Schuhen, Coisfüreu und Schuhschnallen bedeckt.
Das Schloß Bellevue wurde nach dem Tode des Alten Fritz von dem
Prinzen Ferdinand, der es 1785 dem Platz-Hosrath Bertram abgekauft hatte,
erbaut und mit dem schönen, noch jetzt vorhandenen Garten versehen.
Ein Fremder in den „Bemerkungen eines Reisenden durch die preußischen
Staaten in Briefen" vom Jahre 1779 schildert das lebhafte Treiben in den
Zelten ähnlich. Ihm hatte dasselbe Abends so gut gefallen, daß er am nächsten
Morgen eine Promenade in die Nähe machte. „Eine Allee", erzählter, „gefiel
mir gestern vor allen anderen. Sie führte zu einem kleinen rnnden Platz, aus
welchem an einer hohen Eiche eine kleine Ruhebank angelehnt ist. Ganz gewiß
hatten' gestern Abend ein paar Liebende hier gesessen oder, welches noch wahr-
scheinlicher ist, mag ein feuriger Liebhaber hier auf dieser Stelle geseuszt haben.
Ich fand ein Quartblatt, auf welchem Folgendes aus dem Ramler stand:
O, sich geliebt zu seh'n,
Welche Seligkeit
Unten standen mehrere Buchstaben."