50 Berliner Baumeister und Bildhauer.
Während der ganzen Epoche seit 1861 bis jetzt hat sich nun in Berlin
eine große Anzahl trefflich geschulter und hochangesehener Privatarchitekten
herausgebildet, die zum Theil, wie die folgenden Zusammenstellungen zeigen,
gemeinschaftlich arbeiten, so Hitzig, Hennicke und van der Hude, Gropius
und Schmieden, Ende und Böckmann, Kyllmann und Heyden, Orth,
Johannes Otzeu, der geniale Vertreter und Wiederbeleber der Gothik, u. A.
Die große Zahl von Prachtbauten, welche dieser neuesten Entwicklung ihre Ent-
stehung Verdauken und sich im Besitz von Privatleuten befinden, fällt bei jedem
Spaziergange, bei jeder Wanderung z. B. durch die Behren-, Wilhelms-, Leip-
ziger-, Friedrichs-, Bellevue-, Viktoria-, Thiergartenstraße und an vielen an-
deren Straßen, Plätzen und Promeuaden vorbei in die Augen und kann bei
dem diesem Kapitel zugemessenen knappen Räume auch uicht annähernd erschöpft
werden. Nicht versagen indessen können wir uns, wenigstens drei Pracht-
bauten zu erwähnen: das eigenartig stilisirte, in reichen Farbentönen aus-
gestattete Haus des Dr. Pringsheim, Wilhelmsstraße 67, den Prachtbau der
Firma Spinn u. Menke in der Leipzigerstraße 83 und den herrlichen Renaissance-
palast der Lebensversicherungsgesellschast Germania, Französische Straße 21,
Ecke der Friedrichsstraße. Alle drei Häuser sind aus echtem, zum Theil kost-
barem Material; der Bau der Germania zeigt die Verwendung eines lichten,
gelbbraunen Sandsteins von besonders angenehmer Farbe. Die beiden letzteren
Gebäude zeichnen sich anch dadurch auf das Vortheilhafteste aus, daß sie das
nordische Dach und den nordischen Giebel konstruktiv wie ästhetisch wieder zu
Ehren bringen. Daß gegen einen Prachtbau, wie den der Germania z. B., die
Leistung, welche der Geheimebanrathsstil in dem älteren Theile des General-
stabsgebäudes zu verewigen anstrebt, kläglich abfällt, wird kein unbefangen
Prüfender in Abrede stellen können. — Auch wo jetzt uoch Putz, statt Rohziegel
oder Haustein, bei vornehmeren Privathäusern Verwendung findet, sucht man
nicht selten die Putzstächeu dadurch zu mildern und gewissermaßen in den Dienst
des Schönen zu bringen, daß man sie zum Träger von Sgrassito-Male-
reien macht. Diese Kunstübung, wörtlich „Kratzmalerei", ist eine einfarbige
Zeichnung, welche man in folgender Weise herstellt. Die Wand wird zunächst
in Schwarz, Grau oder Braun, d. h. in dem Farbenton, den später die Zeich-
nung haben soll, abgeputzt. Dieser untere Grund wird mit Weiß übertüncht und
hierauf die Zeichnung selbst ausgeführt. Die weiße Decke wird alsdann auf den
Konturen und Schraffirnngen mittels Messer. Griffel ?c. entfernt, so daß schließlich
der dunkle Grund in Linien wieder zum Vorschein kommt. Die Kratzmalerei ist
italienischen Ursprungs und läßt sich bei jeder Stilart verwenden.
Die Privatbaukünstler emanzipirten sich von dem altpreußischen Geheimebau-
rathsstil nicht blos, sondern fingen an, ihm innerhalb der eigenen Domäne Kon-
knrrenz zu machen. Hierzu trug die Erweiterung des preußischen Staates, uament-
lich die Einverleibung von Hannover, Frankfurt und Nassau, nicht wenig bei.
Städte wie Wiesbaden, Homburg, Frankfurt a. M., Hannover, Hildesheim, Göt¬
tingen, Lüneburg, Goslar, Emden, Altona, Kiel, Schleswig, Flensburg u. f. f.,
die zumeist schon eigene Baukünstler besaßen und eigene Baustile kultivirteu, als
Berlin noch ein wendischer Pfahlbau war, mußten von vornherein mit Fug jede
Einmischung der Geheimebaurathsschule abweisen und konnten der Centralstelle
eigene, jedem altpreußischen Staatsarchitekten ebenbürtige Baumeister vorführen.