266 Im Ammergau und Ampergebiet.
hat Feld und Wald durchbrochen und schwingt sich in leichten Bogen zu der
Höhe hinauf, auf der die Mauern der umfangreichen Burg Neu-S chwan-
stein rasch emporsteigen, die an Glanz und Pracht den alten Schwanstein weit
hinter sich lassen soll. Ein großartigerer Gegensatz als derjenige, den die Ans-
sichten von den Fenstern und Zinnen des neuen Königsschlosses nach Südost
und Nordwest einst bieten werden, läßt sich kaum denken. Berlepsch schildert
denselben wie solgt: „Die Südostseite des Bergkegels wird von einem mäch-
tigeu Felsenkessel eingeschlossen, der an großartig öder Wildheit, in den tausend-
fachen Spuren der Zerstörung durch entfesselte Natnrkräste die kühnsten Phan-
tasiegebilde übertrifft; der Blick in diese trümmererfüllte Mündung der da-
hinter sich öffnenden Schlucht ist ein wahrhaft beängstigender, ungeheuerlicher.
Dem klaffeudeu Felsenrisse entwindet sich in grünschäumeudem Falle die Pöllat,
ein frischer Gebirgsstrom, und in schwindelnder Höhe, 100 m. über dem Ab-
gründe, schwebt wie ein Spinngewebe die aus Eiseugitterwerk^ zierlich ge-
baute Marienbrücke. Weudet man dann den Blick gegen Norden und Westen
hinaus, so hat das Auge Raum, Weite, Friede, Ruhe, — es überschweift das
vielgestaltige Hügelland, welches der Lech, seine Gebirgsheimat verlassend, in
breit versandetem Bette durchirrt. Liuks, im tiefbewaldeteu Vordergrunde,
liegt der Schwan- und Alpsee und Zwischen beiden auf tauubewachfeuer Felsen-
znuge Schloß Hohenschwangau/'
Das Graswangthal und Lindcrhof. Von Hohenschwangau führt ein
bequemer Reitweg ius nahe Graswang- und Ammerthal. Kaum eine
Menschenseele begegnet uns auf dem Wege, uns umfängt die ganze Poesie der
Waldeinsamkeit. Ein krystallhelles Bächlein fließt uns entgegen; wir über-
schreiten die Wasserscheide, und die Wasser eines anderen tanzen vor und neben
uns in lustigen Sprüngen zwischen Fels und Busch ins Thal hinab. Das ist
die Graswang und das stille, abgeschiedene Thal, in dem wir uns befinden, ist
das Graswangthal. Alles ist enge und begrenzt; man meint, es führe kein
Weg hinaus aus dieser träumerischen Einsamkeit, und doch ist's wunderbar
schön in dieser Weltvergessenheit.
In einer kleineu Weitung des Thales, iu das die Klammspitzen und der
Henne'ukopf erust hineinschauen, steht ein Schlößchen in der Bauweise, welche
vom Hofe Lndwig's XIV. über gauz Europa Verbreitung fand. Es ist
Linderhos, ein Lieblingsschloß König Lndwig's II. Von der Pracht der
inneren Räume, welche deu Fremden unzugänglich sind, vou der goldgläuzeu-
den Einrichtung im Stile Lndwig's XIV. und von den prächtigen Gemälden,
welche die Zimmer schmücken, Scenen aus dem Leben dieses Köuigs dar-
stellend, wird Vieles — Wahres und Uebertriebeues — erzählt. Jedenfalls
kommen auch iu diesen: einsamen Schlosse die Prachtliebe und der Geschmack
des jetzigen Königs von Bayern in überraschender Weise zum Ausdruck.
Um das Schlößchen liegt ein Garten von bescheidenem Umfange; aber
die kleine Fontaine, die duftenden Rasen und die wohlgepflegten Wege ver-
leihen ihm einen eigenthümlichen Reiz. Man erwartet in dieser Abgeschieden-
heit nichts weniger als ein solches Kabinetsstück der Schloßarchitektur und
Gartenkunst. Einen eigenthümlichen Gegensatz zn diesen kunstvollen Aula gen