176. Die Franzosen.
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Frankreich sogar die Flüsse als Hauptgrundlage seiner politischen Einteilung
gewählt.
176. Die Franzosen.
(Nach Fr. v. Rougemont, Geographie des Menschen.)
Die französische Nation ist durch die Verschmelzung von Völkern
entstanden, welche drei verschiedenen, wenn nicht gar feindlichen Familien
angehören, den Celten, Römern und Germanen. Auf ihren Grenzen
wohnen Völkerschaften, welche in mancher Beziehung den Bewohnern der ver-
schiedenen Nachbarstaaten gleichen, und die sie sich nichts destoweniger ganz
verähnlicht hat; sie ist spanisch in den Bewohnern der Landschaft Noussillon,
italienisch in ihren Proven?alen und Savoyarden, schweizerisch in den Be-
wohnern der Freigrafschaft, deutsch in ihren Lothringern, belgisch in ihren
Flamändern, englisch und skandinavisch in ihren Normännern; sie ist celtisch
in ihren Bretagnern, iberisch in ihren Basken und Gascognern. Daher hat
sie einen weniger speciellen Charakter als irgend eine andere Nation, ist mit
nichts ganz unbekannt, zu Allem geschickt und besitzt keine Tugend in vor-
züglich hohem Grade. Ihr wurde die Allgemeinheit zu Theil, die Tiefe da-
gegen versagt. Die thätige und praktische Seite des Lebens hat das Ueber-
gewicht über das Nachdenken und die Theorie, der Verstand über das Herz,
die Vernunft über die Einbildungskraft, die sichtbare Welt über die unsicht-
bare, das romanische Element über das germanische.
Die Franzosen sind mehr gewandt und behende als stark. Man bewun-
dert ihre Mäßigkeit und findet unter ihnen sehr wenig mißgestaltete Menschen.
Ihre Tapferkeit macht sie zu verwegenen, im Angriff unwiderstehlichen Krie-
gern, deren Hitze aber bald nachläßt; sie lieben den Kampf und sind ein
angreifendes, eroberndes Volk. — Sie besitzen einen unerschöpflichen Schatz
von Fröhlichkeit, welche der Widerschein ihrer lachenden, anmuthigen Natur
zu sein scheint. Damit verbindet sich viel Witz, jener feine, zarte, an guten
Einfällen reiche, oft spöttische, aber mehr boshafte als bösartige Witz, welchen
sie in höherem Grade als irgend ein anderes Volk besitzen; durch ein feines
Schicklichkeitsgefühl gemäßigt, verbreiten sie über alle Verhältnisse des geselli-
gen Lebens einen Reiz, welchen man sonst nirgends findet; sie lassen über
der Gegenwart Vergangenheit und Zukunft vergessen; sie arten in einen
Leichtsinn aus, welcher nur noch auf das Aeußere und die Form achtet, in
einen übermäßigen Hang zu Vergnügungen, welcher die einzige Triebfeder
eines ganzen Lebens wird und nothwendig Sittenverderbniß zur Folge hat.
Die Franzosen sind offenherzig, frennüthig, zuvorkommend, leutselig,
mittheilend und umgänglich; sie schließen sich leicht an Andere an, sind für