590
III. Länder- und Völkerkunde. D. Amerika.
Auch wird die Eisersucht der Nachbarn es unmöglich machen, die Banda
oriental ihrer Selbständigkeit zu berauben; das kleine Ländchen ist, so
gut wie Paraguay, in seiner Existenz eben dadurch gesichert, daß jeder der
mächtigen Nachbarn es haben möchte und dadurch keiner es bekommen wird.
Mitten durch das Land strömt von Nordost nach Südwest, gleichsam
wie eine Diagonale, der noch auf brasilianischem Boden entspringende Rio
Negro, ein Fluß von der Größe unserer Oder, welcher die Banda oriental
in zwei etwas ungleiche Hälften scheidet: die südliche, größere stößt an den
Atlantischen Ocean und den Rio de la Plata, die nördliche, kleinere an den
Rio Uruguay im Westen und beide im Norden an die brasilianische Provinz
Rio grande. Das Ganze ist eine von schmalen Felsengebirgen mit geringer
Erhebung durchzogene, terrassirte, grasbewachsene Fläche ohne Waldungen.
Die Viehheerden, der Hauptbesitz des Orientalen Landmannes, bestehen aus
400—500 Häuptern: ja es gibt Landleute, deren Viehstand sich auf 2000
Köpfe und darüber beläuft, und diefe gehören noch keineswegs zu den
reichsten. Tausende von Schasen grasen auf den weiten Flächen in friedlicher
Ruhe hier neben den Pferden, dort neben Rindvieh, aber nicht mit ihnen
sich mengend; jedes Thier sondert sich ab von der andern Art und überläßt
ihr den einmal eingenommenen Weideplatz. Gewöhnlich treibt der hiesige
Landmann nur die Zucht einer einzigen Classe; alle drei lassen sich nicht
gut mit Erfolg gleichmäßig behandeln. Namentlich bietet die Schafzucht
viele Schwierigkeiten dar; sie verlangt viele Knechte zum Hüten der Heerden,
die gerne fortlaufen, wenn heftige Stürme oder Ungewitter über die Fläche
hinziehen, wo sie sich aushalten. Auch müssen sie bei Nacht in Gehege
getrieben werden, damit nicht Raubthiere in die Heerde einbrechen. Alles
das ist bei Pferde- und Rindviehzucht nicht nöthig; man überläßt die Thiere sich
selber; sie kommen nie in einen Stall, leben unter ihres Gleichen ganz
ungestört und werden nur in so weit überwacht, als man die jungen Thiere
nach einiger Zeit mit einer Marke zeichnet und danach die Zahl abschätzt,
welche man besitzt. Den reichlichsten Ertrag gewährt die Schafzucht der
Wolle wegen; sie befindet sich größtenteils in den Händen von Ausländern,
namentlich Engländern, welche die ersten besseren Racen einführten und die
Wartung der Thiere kennen lehrten. — Ackerbau treibt man im Ganzen
noch wenig und nicht einmal bis zum Ausreichen für den eigenen Bedarf.
Die Hauptstadt S. Felipe del Puerto de Montevideos, wie sie
nach ihrer Gründungsurkunde vollständig heißt, liegt auf einer frei in das
Meer hinaustretenden, ziemlich schmalen, aber langen Felsenzunge, deren
Mitte sich, buckelartig gewölbt, allmählich über den Meeresspiegel erhebt und
*) Montevideo ist eine Aussprache im Volksdialekt statt Monte-vireo d. h. grüner
Berg.