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kann, liegen, weitläufiger und freundlicher gebaut, die 35 Vorstädte
Wiens, von denen die zwei nördlichen, die Jägerzeil und die Leo-
poldstadt, durch die Donau von der Stadt getrennt und durch fünf
Brücken mit derselben verbunden sind. Die 33 übrigen umgürten die
Stadt in einem großen Halbkreise und sind von derselben durch ein
600 Schritt breites, mit herrlichen Alleeen, üppigen Baumpflanzungen
und grünen Rasenplätzen versehenes Glacis geschieden. Auf einem
Flächenraume, welcher 3^2 deutsche Meilen im Umfange hat, leben
hier 1 Mill. 170000 Einwohner (mit Einschluß der 35 Vorstädte),
Deutsche, Italiener, Ungarn n. s. w., die vielen, besonders orien-
talischen Fremden abgerechnet, welche sich fortwährend in Wien des
ausgedehntesten Handels wegen aufhalten und in ihren eigentümlichen
Nationaltrachten ein buntes Farben- und Formengemisch der Kleidung
auf den Straßen zur Schau tragen. Auf die innere Stadt kommt
indes nur der zehnte Teil der Bevölkerung.
Wien, der Zusammenfluß des höchsten Adels und der Sitz der
reichsten Kaufmannschaft des ganzen Kaiserstaates, ist reich an großen,
prachtvollen Palästen und andern Gebäuden, welche mit geschmack-
vollen Läden, in welchen der Luxus zur Schau gestellt ist, oft ganze
Straßen einnehmen. Doch unter allen tritt ein Bauwerk ganz be-
sonders hervor, es ist die Stephanskirche mit ihrem 137 Meter hohen
Turme. Diese herrlichste Kirche Wiens ist zugleich eine der schönsten
in der Welt und ein vorzügliches Denkmal altdeutscher Baukunst. Sie
ward 1144 angefangen und in der Mitte des fünfzehnten Jahr-
Hunderts vollendet. Ein Reisender beschreibt" uns dieses prachtvolle
Werk menschlicher Kunst also: Vor uns steht der altersgraue Dom
in seiner ganzen ehrwürdigen Pracht mit der Riesenpyramide. Der
ganze Bau ist aus Sandsteinquadern aufgetürmt, und doch erscheint
er uns mit seinen zahllosen Gipfeln wie eben so vielen Blütenzweigen
und frischen Sprossen, mit seinem durchbrochenen Laubwerk, aus
welchem plötzlich abenteuerliche Tiergestalten hervorspringen, mit jenem
ungeheuren Stamme, dessen Blütenkrone, der Sonne frei ausgeschlossen,
Kreuz und Adler trägt, — wie ein Wald, dessen tausend Stämme
unten an den Wurzeln aneinander gewachsen sind; und treten wir in
sein Inneres, so belebt das in Farben gesplitterte Licht jenes steinerne
Volk von Engeln, Heiligen, Blutzeugen und Fürsten; blicken wir zu
den schlanken Schäften empor, die hoch oben, deni Auge fast unkenntlich,
die Äste ineinander schlingen, so wähnen wir uns in ein fernes Wnn-
derland versetzt. Dazu prangt im Sonnenscheine das Dach im Farben-
glänze seiner glasierten, bunten Ziegel.
Zu den sonstigen merkwürdigen Gebäuden Wiens gehört die
kaiserliche Burg. Sie ist von gewaltigem Umfange, besitzt große
Schätze an Kunstarbeiten, Naturalien und Münzen. In ihren Neben-
gebäuden befinden sich die Universität, das Burgtheater und die Biblio-
thek. Außerdem sind noch besonders hervorzuheben: das mächtige