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geschlechts ihrem Ende entgegen. Wüstes Land wird eingehegt und
Wälder werden niedergehauen. In England giebt es höchstens noch
1500 Zigeuner, in Frankreich findet man sie fast gar nicht mehr; in
Spanien schätzt man ihre Zahl auf 30000, die sich fast alle bereits
in Städten angesiedelt haben. Vor Ende dieses Jahrhunderts werden
sie wohl aus dem Westen Europas verschwunden sein.
Um sie in ihrem wahren Charakter und ihrer originellen Kleidung
zu sehen, muß man sie in den Wäldern und Steppen Ungarns oder
Südrußlands aufsuchen. Dort findet man sie noch zu Zehn- und
Hunderttausenden als einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. Sie
führen ungehindert dasselbe Nomadenleben, wie ihre Voreltern, als sie
vor vier und einem halben Jahrhundert nach Europa kamen. Die Zahl
der ungarischen Zigeuner betrug nach der Zählung unter Maria
Theresia 53 000; in Transsylvanien rechnet man gegen 17 000; in der
Walachei und der Moldau waren vor zehn Jahren 37 000 Familien,
welche, zu fünf gerechnet. 185 000 Seelen geben, so daß in diesen
Fürstentümern jede achtzehnte Person ein Zigeuner ist. Im südlichen
Rußland ist ihre Zahl vielleicht ebensogroß, doch läßt sich keine ge-
naue Berechnung anstellen, da sie stets ein wanderndes Leben führen,
im Sommer ihr Vieh aus den Wiesen weiden und im Winter sich in
die Tiefen der Wälder zurückziehen.
Von den Zigeunern Ungars und den Donaufürstentümern hat sich
etwa der vierte Teil in Städten und Dörfern niedergelassen, und lebt,
gleich ihren Brüdern im Westen, vom Wahrsagen, Betrügen und Stehlen
und scheinbar als Ein- und Verkäufer von Pferden und Maultieren oder
als Kesselflicker und Straßenmusikanten. In der letzten Eigenschaft
haben sie Ruf erlangt; in der Musik sind sie Genies, sie wird mit
ihnen geboren.
Die ersten Zigeuner des Ostens traf ich in den Karpathen, an der
mährischen Grenze. Es war Markt in der benachbarten Stadt gewesen,
und von allen Seiten kehrten Ungarn und Zigeuner in den verschieden-
artigsten Trachten nach Hause zurück, dann und wann mit ihren Pferden
und Karren Halt machend und sich lagernd. Ich habe nie ein malerisch
schöneres Bild gesehen, als diese kleinen Lager, wovon ich das eine
in beifolgender Skizze möglichst treu wiedergebe. Die stolzen, gemeßnen
Ungarn mit ihren kleidsamen Trachten sind leicht von den Zigeunern
zu unterscheiden. Es wurde gespielt und getanzt, getrunken und gejauchzt.
Später sah ich auf einem Haufen Stroh mitten in der brennendsten
Sonnenhitze vier Zigeuner allein. Sie waren alle vier groß und stark
gebaut. Schmutziges, zottiges, rabenschwarzes Haar von afrikanischem
Schwarz fiel über ihr Gesicht; und wie sie so schlafend dalagen, erschien
ihr Körperbau riesenhaft. Ihre Kleidung, wenn man es so nennen will,
war eine Sammlung der schlechtesten Lumpen, ein grober türkischer
Shawl um den Leib gegürtet, in welchem jeder ein großes zweischneidiges
Messer hatte. Ihre Instrumente lagen neben ihnen, denn sie waren