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wieder hinunter. Auf dem Olymp ratschlagten die großen Götter.
Zwölf an der Zahl bildeten sie den Rat der Alten: Zeus ihr Haupt.
Sie entschieden die Geschicke der Welt und die Angelegenheit des
Himmels. Die übrigen Götter gehörten zur allgemeinen Versammlung,
welche Zeus in wichtigen Dingen berief. Krystallene Paläste bedeckten
des Berges Gipfel, der Götter Wohnungen, denen kein Sterblicher zu
nahen sich erdreistete. So erzählt die Mythe der Griechen zur Zeit des
Homer. Schon lange ,vor dem Eindringen des Christentums war
auch der Heiligenschein verschwunden, der den Olymp so lange um-
hüllt hatte. —
Versetzen wir uns auf seinen Gipfel: Welch ein Umblick! Ein
Land, die Wiege aller neuen Kultur, breitet sich vor uns aus, in dem
ehemals zwanzig berühmte Völkerschaften lebten. Dies jetzt so ent-
völkerte Thessalien und jenes verwüstete Hellas, sie zählten einst über
hundert mächtige Städte; ihre blühenden Felder waren mit Dörfern
und Flecken bedeckt; überall drängten sich Wohnungen, Tempel und
die Denkmäler des Gedeihens, des Überflusses, der Gesittung und der
höchsten geistigen Kultur. — Der Griechen Unternehmungsgeist, ihr
Geist und ihre Kraft höhlten an diesen Küsten große Häfen aus, trock-
neten pesthaucheude Sümpfe und bedeckten die verödeten Gewässer mit
ihren Schiffen, deren Flaggen alle damals bekannten Meere beherrschten.
Was ist geworden aus alle diesem in der Spanne Zeit von anderthalb
Jahrtausenden der Ewigkeit? Von den meisten Orten der Vorzeit
kennt man ihre Stätte nicht mehr. Wilde Tiere Hausen in den Ruinen
der Paläste der Könige; Herden weiden auf der Schwelle der ein-
gestürzten Tempel, und auf der unwirtlichen Höhe, von wo Zeus seine
Blitze schleuderte, horstet sein Adler nur noch. Versumpft sind die
Küsten und hauchen Seuchen aus; die Häfen sind verschlämmt und
vertrocknet; die wenigen Städte gleichen Skeletten; die allgemeine
Armut ist an die Stelle des Reichtums, Mangel und Entbehrung sind
an die des Überflusses und der Üppigkeit getreten; das ganze Land,
meist der Schauplatz so vieler Pracht, ist ein Bild der Verödung und
des Elends.
6. Land und Leute in der Moldau.*
Wer im Spätherbst bei Snczawa den moldauisch-rumänischen
Boden betritt, dem bietet sich überall ein einförmiger Anblick dar.
Meilenweit dehnen sich kahle Felder aus, auf denen Scharen von
Krähen und Elstern sich herumtummeln, hier und da auch Schaf-
und Ziegenherden die übrig gebliebenen Stumpfe der Maispflanzen
abnagend. Oft zeigt sich auf große Entfernungen hin kein Baum,
kein Haus, kein menschliches Wesen; der einzige Ruhepunkt, den das
Auge findet, sind einzelne, sich erhebende niedrige Hügel und die in
* Nach A. Reiß.