185
und Vertrauen. Man glaubt emporgehalten zu schweben, aber man
fühlt sich sicher in den Händen der kühnen Gewalt, die einen empor-
hält und Klugheit und Sorgfalt mit sich verbindet. Der Sturm
bewegt den leichten, schlanken Bau, aber er kann ihn nicht er-
schüttern; der Blitz schlägt jährlich mehrmals in den Thurm, aber
er kann nicht mehr thun, als hier und da einen Stein lockern. —
Mit Sehnsucht blickte ich hinauf zum dritten Stockwerke des Thurmes;
der Thürmer öffnete die Thür, welche zur Spitze des Thurmes
hinauf führt. So durchsichtig und luftig die Treppe ist, so hat sie
doch keine Gefahr. Und welch ein Entzücken, oben zu stehen unter
der Krone, wo einst der Baumeister im stolzen Gefühle der Voll-
endnng seines großen Werkes gestanden hat!«
Während des deutsch-französischen Krieges (1870) wurde Straß-
bürg von deutschen Truppen sieben Wochen lang belagert. Nach
heftigem Bombardement übergab der Kommandant Uhrich am
27. Sept. dem General v. Werder diese starke Festung. Ein großer
Theil der Stadt und Festung war zerstört und in einen Schutt-
Haufen verwandelt worden; den herrlichen Münster hatte die badische
Division zu schonen gesucht; nur das Dach des Gebäudes war
beschädigt.
Am 30 Sept. 1681 hatte die protestantische Bürgerschaft Straß-
burgs mit dem Klageliede »Aus tiefer Noth schrei ich zu dir« u. s. w.
Abschied von den Münsterhallen und von dem deutschen Reiche
genommen. Am 30. Sept. 1870 betraten die deutschen Krieger den
vaterländischen Dom und wiederholten tiefgerührt den Siegespsalm,
mit welchem sie in der Morgenstunde den Feldgottesdienst begonnen
hatten (Allein Gott in der Höh' sei Ehr'!). — An jenem Freitage
leuchtete die Herbstsonne in verjüngter Kraft, und die alten fächsi-
schen und hohenstaufifchen Kaiserbilder in den farbigen Fenstern
schaueten wunderbar herab auf die geharnischten Streiter, als wollten
sie sagen: »Ihr seid eurer Väter Werth!« —
36. Der Bodensee.*
Der Bodensee, der König der deutschen Seen, auch das
schwäbische Meer genannt, gewährt schon hinter Lindau, wo
die Eisenbahn von Augsburg her mündet, einen anmuthigen
und großartigen Anblick. Die Schweizerberge scheinen mit ihrem
Fuße in den blauen Fluthen zu ruhen. Von den grünen Vorbergen
steigen sie zu immer höheren Alpen hinauf, die in blauer Ferne
mit dem Himmel zusammenfließen. Dem Auge verlängert sich der
See unwillkürlich bis in die tiefen Thäler der Graubündner Alpen¬
* A. Berthelt.