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Dieser Staat gehörte vom 11. bis 12. Jahrhundert zu den mäch- 
tigsten in Europa, aber die Könige von Ungarn vermochten eben 
so wenig als früher die Könige von Macedonien, Bulgarien, Dacien, 
Servien ein eigenes selbstständiges Königreich zu behaupten, und 
die Ungarn trugen ihre Krone den östreichischen Fürsten an. Aber 
ihre Volkseigenthümlichkeit haben sie im vollsten Maße behauptet, 
vielleicht mehr als jedes andere Volk, und ihre Verfassung (Eon- 
stitutiou) ist freier als die jedes andern europäischen Staates. 
Während der Kaiser in Wien als unumschränkter Herr gebietet, 
muß er in Preßburg die » Landtasel« (bestehend aus dem höheren 
und niederen Adel) regieren lassen, und dem Willen der «Magna- 
ten« sich sügen. Der Adler mit zwei Köpfen ist das treue Abbild 
dieser doppelten östreichischen Monarchie. 
Preßburg war die Residenz der alten ungarischen Könige, aber 
das Schloß brannte 1811 ab, und nun erinnern seine Trümmer 
an die alte vergangene Zeit. Hart an der Donau erhebt sich ein 
kleiner Hügel, der ist jedem Ungar heilig; jeder neugekrönte König, 
wenn er die Domkirche verläßt, muß ihn hinanreiten, mit dem 
Schwerte in die Luft nach allen vier Weltgegenden hauen und so 
vom Reiche Besitz nehmen. Es ist das ein Zeichen, daß er das 
Land vor allen Feinden mit dem Kriegsdegen vertheidigen und 
schützen wolle. Die Königin Maria Theresia, welche die Un- 
garn so trefflich zu nehmen verstand, ritt in vollem Galopp mit 
gezogenem Säbel den Königshügel hinan, unter dem freudigsten 
Beifallsrufen der Magnaten, die ihre hochverehrte Kaiserin-Königin 
begleiteten. 
Preßburg, so nahe der deutschen Grenze, giebt doch schon einen 
Vorgeschmack des morgenländischen Wesens. Auf dem rechten Do- 
nauufer ist ein reizender Park und mitten darin ein Sommer- 
theater, die Arena. Das Theater ist von Holz, oben offen, die 
Sonne bildet den Kronleuchter. Hier sitzen die Ungarn mit ihren 
Tabakspfeifen, lasfen den Rauch emporwirbeln und fehen gemächlich 
dem Spiele zu. Bringt es das Stück mit sich, so wird die Hinter- 
wand der Scene weggenommen, und man blickt dann in den an- 
stoßenden Wald hinein. 
Hinter Pesth beginnen die »Pußten«. So werden von den 
Ungarn die in der Mitte ihres Landes sich ausdehnenden Steppen, 
die einen Umfang von ungefähr hundert Stunden haben, genannt. 
Der meist fruchtbare Boden bietet den Anblick eines Getreidemeeres, 
das unter dem Winde Wellen schlägt, zuweilen aber auch im Sande 
erstarrt und das Bild einer Wüste zeigt; dann wieder in eine weite 
grüne Grasfläche sich verwandelt, auf welcher zahlreiche Rinder- 
und Pferdeheerden weiden. Keine gebahnten Wege und Straßen, 
nur Wagenspuren zeigen sich hier und da, wo am meisten gefahren 
wird. Meilenweit erblickst Du kein Haus, geschweige ein Dorf;
	        
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