30 
11. Europa,^ 
_ Hier drängt sich auf dem engsten Räume die höchste Kraft des 
Völkerlebens zusammen. Unter den Welttheilen der sogenannten 
alten Welt ist Europa der jüngste, der, in die Geschichte eintretend, 
zum Selbstbewußtsein erwacht und zum Vollgefühl seiner 
Stärke gelangt ist. Die Kultur, die von Westasien und vom nörd- 
lichen Afrika aus auf europäischen Boden verpflanzt wurde, hat 
hier die tiefsten Wurzeln geschlagen und die reichste Fülle von Früch- 
ten erzeugt. In Europa ist überall Bewegung, Fortpflanzung 
und nach allen Richtungen ausströmendes Leben. Während 
die Völker Asien's und Asrika's zum Theil noch auf jener unteren 
Stufe sich befinden, auf welcher sie in erst dämmerndem Bewußtsein 
ruhen; während andere Nationen dieser Erdtheile in Erstarrung 
zurückgesunken sind und nur da, wo sie mit europäischem Völker- 
leben in Berührung kommen, wie im Traume einige Zeichen des 
künftigen Wiedererwachens geben: sehen wir dagegen die jüngsten 
Sprößlinge und Schüler der europäischen Kultur, die Bewohner 
Amerikas und zum Theil schon Polinesiens, mit rascherem 
Schritte ihren Meistern zur Seite gehen. — So ist von dem kleinen 
Europa eine Bewegung ausgegangen, welche immer neue Völker in 
ihre fort und fort sich erweiternde Kreise aufnimmt. 
Europa, zwischen dem 8. bis 83. Grad östlicher Länge und 
dem 36. bis 71. Grad nördlicher Breite, umfaßt einen auf 155,000 
bis 180,000 geogr. Quadratmeilen berechneten Flächenraum, je nach- 
dem gegen Asien hin die Grenze enger oder weiter gezogen wird. — 
Bis zum 48. Grade nordwärts blüht der Citronenbaum ohne 
Pflege, vom 65. Grade an kommt das Getreide nicht mehr zur 
Reife und wächst nur das Rennthiermoo §>. Während die nörd¬ 
lichsten Bezirke vom ewigen Polareise umlagert sind, gedeihen Pal- 
men und Zuckerrohr in seinem äußersten Süden. Aber diese den 
Tropenländern eigentümlichst angehörenden Produkte mögen wohl 
das Bedürfniß erwecken und reizen, kommen aber lange nicht in 
genügender Menge zum Vorschein, um es befriedigen zu können. 
Wie reich also Europa an Erzeugnissen verschiedener Art ist, so ist 
die Mannichsaltigkeit derselben noch nicht groß genug, um die Be- 
wohner in Abgeschlossenheit von der übrigen Welt uud innerhalb 
der engen Grenzen des eigenen Welttheils ihre ausschließende Be- 
friedigung suchen zu lassen. Schon durch die Natur sind hiernach 
die europäischen Nationen auf eine lebendige Verbindung und einen 
gegenseitigen Verkehr mit den andern Völkern hingewiesen. 
Von zum Theil mächtigen Gebirgsketten und zahllosen 
Hügelreihen in seinem Inneren auf das Mannichfaltigste durch- 
* Nach Wilh. Schulz und L. Thomas.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.