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Kreislauf der Sterne um den Himmel erhält uns in Bekanntschaft 
mit dem Kalender unseres Vaterlandes, und sagt uns, welches Datum 
man dort auf Briefe und Urkunden schreibt; wo wir in Gedanken 
jetzt weilen, auf dem Angelpunkte dauert jeder Tag und jede Nacht 
ein halbes Jahr. Nennen wir Tag und Nacht zusammen einen 
Tag, so ist Jahr und Tag einerlei. Sommer ist Tag, Winter 
ist Nacht. Die Tage nehmen weder ab noch zu; jeder Tag ist so 
laug wie jeder andere, und jede Nacht ist so lang wie die andere. 
Nachdem Nacht und Winter mit bleiernem Gewicht sechs Monate 
hindurch auf dem Pole gelegen, erscheint endlich kurz vor dem 
21. März ein kleiner Kreisabschnitt der Sonne am Himmel, und am 
21. März geht eine halbe Sonne rings um den Horizont. 
Eben so wie keine Jahreszeiten, haben wir daher auch keine 
Himmelsgegenden. Jeder Wind kommt aus Süden, und zu- 
gleich geht jeder nach Süden. Wollen wir annehmen, Osten sei da, 
wo die Sonne aufgeht, so geht sie eben um den ganzen Himmel 
herum auf und bedarf zum Aufgehen mehr als 3mal 24 Stunden. 
Während bei uns Ost, Süd, West und Nord mathematisch ge- 
nau bestimmte Punkte des Horizonts sind, ist auf dem Pole der 
Horizont Ost. — Eben so ist aber auch der ganze Horizont 
West, weil die Sonne beim Unter- wie beim Aufgehen einen Kreis 
um den ganzen Himmel beschreibt. 
Nehmen wir, um die Himmelsgegenden zu bestimmen, unsere 
Zuflucht zu dem Nordpol, so finden wir, daß auch dieser uns im 
Stiche läßt; Norden, sagt er, ist über eurem Haupte, Süden genau 
unter euren Füßen; wo Ost und West ist, das weiß er nicht; frei- 
lich kann er es auch nicht wissen, denn Ost und West giebt es 
unter dem Pole nicht. 
Indem wir uns mit der Bestimmung der Himmelsgegenden ab- 
mühen, gerathen unsere Führerinnen, Mathematik und Physik, in 
heftigen Streit mit einander. 
«Wie!« ruft die Physik der Mathematik zu, »wie? du behauptest, 
jeder Tag währe 4386 Stunden, und eben so lang sei die Nacht? 
am 21. Juni, lehrst du, gehe auf dem Pole die Sonne auf? Kennst 
du nicht das Zurückwerfen, hast du nichts gehört vom Beugen 
der Lichtstrahlen?« 
Laßt uns auch sie hören. Die Physik ergreift das Wort und 
spricht. 
Durch das Zurückwerfen des Sonnenstrahls entsteht die Däm- 
merung, welche am Pole schon mit dem 29. Januar beginnt 
Durch die Beugung wird das Bild der Sonne fast um einen 
Grad höher gehoben als es wirklich steht, so daß die Sonne, welche 
mathematisch erst den 21. März aufgehen dürfte, schon gegen das 
Ende des Februar über dem Horizonte erscheint. 
Die Sonne windet sich nun, ohne unterzugehen, in schrauben-
	        
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