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sonst entlaufen. Mancher andere wurde nun durch die Erfahrung
belehrt, daß der Arm eines freien Mannes mehr vermöge, als die
Hände vieler Sklaven, und setzte seine Leibeigenen in Freiheit;
viele thaten dieses auch aus frommem Antriebe auf dem Sterbe-
bette. So wirkten mehre Ursachen zusammen, diesen achtbaren
Stand, die Hauptstütze des Staates, freilich erst nach und nach in
Freiheit zu setzen. Doch den wohlthätigsten Einfluß hierauf hatten
"die Kreuzzüge; denn nach der Bestimmung des Papstes wurde
jeder Knecht, der das Kreuz nahm, ein Freier.
Z. Künste und Wissenschaften. — Wenn der Mensch
nicht mehr mühsam für die nötigen Bedürfnisse des Tages zu
sorgen braucht, so erwacht auch allmählich sein natürliches Gefühl
für das Schöne, für die erheiternden Künste des Lebens. Unter
diesen stand im Mittelalter die Dichtkunst oben an und wurde
lange Zeit vorzüglich vom Adel betrieben. Die wunderbaren
Abenteuer und Heldenthaten der Ritter während der Kreuzzüge
insbesondere boten hierzu reichhaltigen Stoff dar. Im südlichen
Frankreich und Spanien trieb die Dichtkunst ihre ersten Blüten.
In Frankreich nannte man die Dichter Troubadour, d. i. Er-
fiuder, von dem Worte trouver, erfinden. Auf den Burgen der
Ritter, bei fröhlichen Festen und Mahlen, erschien der Sänger mit
lieblich klingender Harfe in der Hand. Ritter und Damen be-
grüßten mit stiller Freude den lieben Gast und hörten seinen ge-
fühlvollen Gesängen zum Klange der Harfe zu. Wie in Frank-
reich, so blühete diese ritterliche Dichtkunst auch in Deutschland.
Hier nannte man die Dichter Minnesänger, weil der Haupt-
gegenständ ihres Gesanges die Minne oder Liebe war. Sie war
die Verehrung, welche der Milde und Anmut, der Unschuld und
Tugend der Frauen, als Pflegerinnen häuslichen Glückes und
häuslicher Sitte, in zarten Liedern dargebracht wurde. Im Mit-
telpunkte dieser Verehrung aber stand die Königin des Himmels,
die Juugsrau Maria, deren überirdischer Glanz verklärend aus
alle irdischen Frauen uiederstrahlt. Besonders in Schwaben, an
den Höfen der kunstliebenden Hohenstaufen, blühete die Dichtkunst.
Die Sänger wurden deshalb auch schwäbische Dichter genannt.
Selbst Kaiser und Könige ergötzten sich, wenn sie von den ernsten