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solchen erhoben, während das Kapitol mitten im leeren Felde stehen
blieb und, statt der Mittelpunkt von Washington zu sein, dessen äußerster
Endpunkt wurde.
Und so verhält sich's in der Hauptsache noch heute. Nur an einigen
Stellen stehen zusammenhängende Häusermassen. Sonst in einer Aus-
dehnnng von nahezu einer deutschen Meile von Nordwest nach Südost,
und einer halben deutschen Meile von Nordost nach Südwest nur ein-
zelne Gebäude oder Gebäudegruppen. Hier und da eine Straße mit
nur einer Häuserzeile, da und dort eine Villa oder auch ein armseliges
Hüttchen, dem Anschein nach vom Zusall hierher gestellt, und dazwischen
hin und wieder ein großer, weißer Marmorbau, in dem wir näher-
tretend ein Regierungsgebäude erkennen, und die Türme mehrerer Kirchen
aus rötlich-grauem Sandstein.
Das ist ungefähr Washington; und in der Tat, die langweilige
Regelmäßigkeit Karlsruhes und D a r m st a d t s ist, nni Kleines
mit Großem zu vergleichen, fast erfreulich neben dieser Regellosigkeit
der Ausführung in der Regelmäßigkeit des Planes. Ein Teil der
Stadt macht ein sehr anspruchsvolles, großstädtisches Gesicht, die bei
weitem größere Hälfte der Fläche, welche den Plan umfaßt, ist un-
bewohnte, weg- und brückenlose Wildnis, in der man eher Schnepfen
schießen, als Menschen begegnen kann, und in der bei nassem Wetter
nicht fortzukommen ist. — Die großen Straßen sind, bis aus zwei oder
drei, bloße Namen. Vieles in den Staaten Amerikas ist unfertig, und
es gibt eine Masse unbesetzten Landes da, aber kein Stück Land möchte
sich in öderem Zustande befinden, als drei Vierteile des Bodens, welcher
das Stadtgebiet von Washington bildet. Wäre das Straßennetz aus-
gefüllt, so könnte die Stadt nicht unter einer Million Einwohner haben;
wie sie aber jetzt dasteht, hatte sie im Jahre 1870 109199 und nach
der Zählung von 1894 230000 Einwohner (jetzt 271000). Zur Zeit
des Kongresses erhöht sich wohl die Bewohnerzahl um 30000.
Der dichteste Teil des unvollendeten Gewebes, welches der Plan
von Washington zeigt, liegt westlich von dem Hügel, den das Kapitol
krönt. Hier beginnt die einzige fast ganz ins Leben getretene Haupt-
straße, die Penn ylvania-Avenue; sie endigt in der Nähe des
Hauses, wo der Präsident wohnt; ihre Fortsetzung östlich vom Kapitol
ist bis jetzt noch nicht in Ausführung gekommen. — Pennsylvania-
Avenue ist für Washington, was die Linden für Berlin sind. Eine
Viertelmeile lang und etwa 100 Meter breit, ist sie mit ihren meist
hübschen, oft prächtigen Häusern und manchem eleganten Laden der
Stolz der Einwohner. Der in der Mitte hinlaufende Fahrweg wird
von Bäumen beschattet, auch gibt es hier nicht bloß Trottoirs, son-
dern auch Straßenpslaster, eine Wohltat, deren sich von den übrigen
Straßen nur noch einige erfreuen.
Von den öffentlichen Gebäuden sind fast nur die, welche der Re-
gierung gehören, unserer Beachtung wert. Die Kirchen sind weder