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die Stadt und Umgebung. Das Innere, besonders der große
Hauptaufgang ist sehr sehenswert.
In den Anlagen vor dem Justizpalast fesselt der Nornen-
brunneu das Auge. Norueu waren in der heidnischen Glaubens-
lehre der nordischen Völker die Schicksalsgöttinnen Urdh (Ver-
gangenheit), Verdandi (Gegenwart) und Skuld (Zukunft), die das
Schicksal der Götter und das Leben der Menschen von der Wiege
bis zum Grabe bestimmten und am heiligeu Brunnen der Urdh,
der ältesten unter ihnen, weilten. An diese Sage anknüpfend
lehnen drei hohe, ernste Frauengestalten am Rand des Brunnens.
Durch mehrere Querstraßen kommt man von der Lindwurm-
straße au die ausgedehnten Gebäude des Schlacht- und Viehhofs
mit dent Heumarkt, dem Südbahnhof und dem Neubau der
Großmarkthalle. Dorthin mußten die meisten Händler, die
früher am Viktualieumarkt ihre Ware feilboten, übersiedeln.
Nun können die Hausfrauen dort ihre Einkäufe machen. Die
Händler müssen Obst und Gemüse für. den Kleinverkauf in allen
Teilen der Stadt dort holen. Die Großkaufleute können ihre
Waren in den naheliegenden Ladegebänlichkeiten des Südbahn-
Hofs um-, ein- und ausladen. Die Straße, an der die Tram-
bahn für die Großmarkthalle hält, die Jmplerstraße, erinnert
an eine Münchner vornehme Familie, deren Haus am Marien-
platz stand. Eines ihrer männlichen Glieder wurde als verhaßter
Günstling eines mißliebigen Herzogs bei einem Bürgeraufstande
auf dem Marienplatz enthauptet. Von der Thalkirchnerstraße
aus gelangt man an den Südlichen Friedhof, der von einer
hohen Steinmauer rings umschlossen ist.
An der Ecke der Schwanthaler- und St. Paulsstraße sind
ein Schulhaus und die nun fertiggestellte St. Paulskirche. In
der Pettenkoferstraße befand sich das Elisabethspital, das dem
Neubau der Kgl. Augenklinik weichen mußte.
In der Thalkirchnerstraße liegt die Gasanstalt, die bald
aufgelassen werden soll.
42. Der Hauptbahnhof
dehnt sich 2900 m nach Westen aus, beinahe bis zum Hirsch-
garten, wo sich Maschinenhaus und Zentralwerkstätte befinden.
Der Hauptbahnhof steht auf einer alten Sandbank der Isar,
die vor ungefähr 3000 Jahren wahrscheinlich sehr seicht in
einem Bette floß, das sich bis zur Theresienhöhe und Ober-
wiesenfeld erstreckte, so daß sich auch Theresienwiese und Stiegl-
Weber, Helm.itkunde von München. 7