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Solche und ähnliche Blutenpflanzen schmücken auch die Moos-
und Rasendecken der polaren Inseln. Grönland trägt an seiner
Westküste sogar kleinere Waldbestände und Gebüsche von Virken,
Ebereschen, Erlen und Wacholder, deren Stämme freilich recht niedrig
sind und sich meist am Erdboden hinziehen. Dazwischen haben sich
eine Menge blühender Pflanzen angesiedelt, die zusammen mit
Schachtelhalmen, Bärlapp und frischem grünem Moose einen dichten
und oft weite Strecken bedeckenden Teppich bilden. Angebaut werden
von den dänischen Beamten Küchengewächse, wie Rüben, Grünkohl,
Spinat und Radieschen; von den Eingebornen werden Beeren, vor-
zugsweise die Rauschebeere, außerdem Blätter, Blütenknospen und
Wurzeln als vegetabilische Nahrung gesammelt und gegessen.
Umso reicher ist die Tierwelt vertreten. Das nördliche Eis-
meer ist die eigentliche Heimat der Meersäugetiere und der Floh-
krebse. Aus dem Treibeise und den Küsten erscheint der Eisbär;
Scharen von Renntieren beleben die einsamen Steppen; nicht selten
wird der Blaufuchs getroffen. Jin amerikanischen Norden lebt der
Bisamstier oder Moschusochs. Zahllos sind die Scharen von Vögeln,
aber auch von Mücken und Bremsen, dieser entsetzlichen Plage der Tiere
und Menschen.
Spärlich sind die Niederlassungen der Menschen, die nur auf
der Westfeste über den Nordrand des Kontinents hinausgehen, an
der Westküste von Grönland bis zum 78. Grade. Alle Polarvölker
gehören demselben Menschenschlag von ausgezeichnet mongolischer
Gesichtsbildung an; die Augen sind meistens schief gestellt, die
Backenknochen vorstehend; die Nase ist klein und das Haar straff
und schwarz. Die hervorragendsten unter ihnen sind die Eskimo
oder Rohfleifcheffer, oder wie sie sich selber nennen: die Jnnuit d. i.
Menschen. Sie wohnen an der ganzen Nordküste von Nordamerika,
auf dem Archipel, an den Küsten Grönlands und aus beiden Seiten
der Halbinsel Labrador. Sie haben ihre Siedelungen von allen
Völkern am weitesten nach Norden vorgeschoben und „haben bewiesen,
daß der Mensch sich noch behaupten kann, wo ein neunmonatlicher
Winter das Land versteinert, wo kein Baum mehr wächst, ja wo
nicht so viel Holz angeschwemmt wird, um nur als Schaft zu einem
Speer zu dienen^. Sie haben es verstanden, aus den Knochen der
erbeuteten Jagdtiere durch Aneinanderstücken Schlitten zu erbauen
und Lanzen zusammenzufügen. Sie haben es ersonnen, Hütten aus
Schnee und Eis zu erbauend Sie haben den Hund gezüchtet und
zum Ziehen abgerichtet. Mit wahrer Kunstfertigkeit lassen sie ihre
Kajaks (Männerboote) über die tückischen Wogen hüpfen. Sie ver-
ehren einen gütigen Schöpfer und kennen neben diesem eine Schaden
stiftende weibliche Gottheit; sie glauben an eine Fortdauer nach dem
Tode und eine jenseitige Bestrafung der Verbrecher und Lieblosen.
1 Peschel, Völkerkunde, S, 415. 2 Lehmanns Völkertypen Nr. 1.